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Jan-Marco Luczak
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Frage von Christian L. •

Frage an Jan-Marco Luczak von Christian L. bezüglich Recht

Vorab: Das eigentliche, richtige Stichwort wäre RECHT - Erbrecht - Testierfreiheit, welches sich hier leider nicht auswählen lässt. Ich bitte dies zu entschuldigen.

Sehr geehrter Herr Dr. Lucak,

unser derzeitiges Recht, schränkt die Testierfreiheit eines möglichen Erblassers ein.
Immer noch wird nur in absoluten Ausnahmefällen hiervon abgesehen.
Die Situation, in der dieses Gesetz so entwickelt wurde, hat sich hier erheblich verändert.

In Wikipedia wird als Argument angeführt:
Zitat:"Die Einschränkung der Testierfreiheit entstammt der naturrechtlichen Vorstellung, Nachkommen und ggf. Vorfahren seien die natürlichen Erben, die zu enterben nur in begründeten Ausnahmefällen möglich sein sollte. Daneben spielte auch Notwendigkeit der Versorgung der Kinder und Witwen eine Rolle."

Hier möchte ich das Stichwort Scheidung, 2. Familie, Berufstätigkeit der Frauen anführen.

Frage:

Warum wird dieses Recht, obwohl schon lange nicht mehr opportun nicht geändert? Und wie ist ihre Einstellung zum Pflichtteil?
Sofern, Sie dies als nach wie vor notwendig halten, wäre ich dankbar für eine nachvollziehbare Argumentation.

Mit freundlichen Grüßen

Christian Lehmann

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Lehmann,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 22. Oktober 2015 zur Testierfreiheit und zum gesetzlichen Pflichtteilsrecht.

In der Tat besteht zwischen dem Prinzip der Testierfreiheit einerseits und dem Pflichtteilsrecht andererseits ein Spannungsverhältnis. Als wesentlicher Bestandteil der Erbrechtsgarantie gestattet es die Testierfreiheit dem Erblasser, einen von der gesetzlichen Erbfolge abweichenden Übergang seines Vermögens von Todes wegen anzuordnen. Er ist insbesondere nicht verpflichtet, seinen Angehörigen etwas zuzuwenden. Dies kommt in § 1938 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zum Ausdruck. Demnach kann der Erblasser durch Testament einen Verwandten, den Ehegatten oder den Lebenspartner von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen, ohne einen Erben einzusetzen. Folge einer solchen Enterbung ohne Erbeinsetzung ist jedoch, dass dem Enterbten der Pflichtteil des Nachlasses zusteht. Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Damit sichert das Pflichtteilsrecht den nächsten Angehörigen des Erblassers im Gegenzug zur Enterbung einen Mindestwertanteil am Nachlass. Das gesetzliche Pflichtteilsrecht stellt also einen Kompromiss zwischen dem gesetzlichen Familienerbrecht und der völligen Testierfreiheit dar.

Auch vor dem Hintergrund der von Ihnen angesprochenen gesellschaftlichen Entwicklungen im Bereich des familiären Zusammenlebens werden Debatten über die Reichweite der Testierfreiheit und über das Pflichtteilsrecht geführt. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer jüngeren Entscheidung die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Pflichtteilsrechts bestätigt. In seinem Beschluss vom 19. April 2005 zu den Aktenzeichen 1 BvR 1644/00 und 1 BvR 188/03 hat es klargestellt, dass die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass verfassungsrechtlich gewährleistet wird. Ich begrüße diese Entscheidung. Denn die Mindestbeteiligung ist als ein tragendes Strukturprinzip durch die Erbrechtsgarantie des Artikels 14 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) geschützt. Sie gehört zu dem verfassungsrechtlich verbürgten Kerngehalt des Erbrechts und kann auf eine lange Tradition im deutschen Recht verweisen. Neben dem Eigentumsschutz hat sie auch eine eigenständige, über die Gewährleistung der Testierfreiheit hinausgehende Bedeutung. So steht das Pflichtteilsrecht ebenfalls in einem engen Zusammenhang mit dem durch Artikel 6 Absatz 1 GG gewährleisteten Schutz des Verhältnisses zwischen dem Erblasser und seinen Kindern.

Das Bundesverfassungsgericht gewährt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung der Einzelheiten des Regelungssystems, mit dem das skizzierte Spannungsverhältnis zwischen der grundsätzlich zwingenden Nachlassteilhabe der Angehörigen des Erblassers und dessen Testierfreiheit aufzulösen ist. Als primäres Element der Rechtfertigung des mit einem Eingriff in die Testierfreiheit verbundenen Pflichtteilsrechts wurde in der Vergangenheit die Sicherung des Unterhalts der Hinterbliebenen angesehen. Im Vordergrund stand also der Versorgungscharakter des Pflichtteilsrechts. Heute beruht das Pflichtteilsrecht insbesondere auf den Gedanken der familiären Solidarität, der Familiengebundenheit des Vermögens. Ich teile diese Begründungen. Sie sind Ausdruck eines generalisierten Solidargedankens, der sich typischerweise darin zeigt, dass die einzelnen Familienmitglieder sich einander verbunden fühlen, füreinander sorgen und einander beistehen.

Gleichwohl gibt es jedoch Konstellationen, in denen es nicht möglich ist, sowohl das Prinzip der Testierfreiheit als auch den Grundsatz der unentziehbaren Nachlassteilhabe der Angehörigen gleichermaßen zur Geltung zu bringen. So kann es dem Erblasser bei einem besonders schwerwiegenden Fehlverhalten der Angehörigen schlechthin unzumutbar sein, deren Nachlassteilhabe hinzunehmen. Ein derartiges Fehlverhalten kann jedoch nur dann Vorliegen – dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 19. April 2005 ausdrücklich festgestellt – wenn es über die Störung des familiären Beziehungsverhältnisses deutlich hinausgeht, die üblicherweise in Fällen vorliegt, in denen der Erblasser seine Angehörigen von der Erbfolge durch letztwillige Verfügung ausschließt.

Für solche besonderen Fälle hat der Gesetzgeber Regelungen vorgesehen, die dem Erblasser eine Entziehung der Nachlassteilhabe der Angehörigen ermöglichen. Dazu gehören die Vorschriften zur Entziehung des Pflichtteils. Der Erblasser kann gemäß § 2333 BGB einem Abkömmling, seinen Eltern oder dem Ehegatten den Pflichtteil entziehen, wenn einer der dort genannten Gründe für die Entziehung des Pflichtteils vorliegt. Ebenfalls ist es möglich, dass ein Erbe, ein Vermächtnisnehmer oder ein Pflichtteilsberechtigter nach dem Tod des Erblassers durch Anfechtung aufgrund des Vorliegens von Erbunwürdigkeit rückwirkend seine Rechte verliert. Voraussetzung dafür ist, dass der Erbunwürdige eine der in § 2339 Absatz 1 Nummern 1 bis 4 BGB aufgeführten Verfehlungen begangen hat und die Anfechtung vom Berechtigten form- und fristgerecht geltend gemacht wird. Anfechtungsberechtigt ist jeder, dem der Wegfall des Erbunwürdigen zustatten kommt.

Neben einer Enterbung, in deren Folge also zunächst weiterhin ein Anspruch der Angehörigen auf den Pflichtteil besteht, gewährt das deutsche Erbrecht bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen verschiedene Möglichkeiten den Berechtigten darüber hinaus auch den Pflichtteil zu entziehen.

Nach meiner Überzeugung gewährleisten die bestehenden Regelungen einen angemessenen Ausgleich zwischen der Testierfreiheit des Erblassers und dem Recht der Pflichtteilsberechtigten an einer legitimen Teilhabe am Nachlass.

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort meine Sicht der Dinge näher gebracht zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan-Marco Luczak

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