Gibt es derzeit die Absicht, die länderspezifischen Mautsysteme zu vereinheitlichen oder ggf. zu ersetzen?
Mit der beginnenden Urlaubszeit stellt sich mir jedes mal wieder die Frage, ob man die einzelnen Mautsysteme in der EU nicht vereinheitlichen kann bzw. durch andere Finanzierungslösungen ersetzen sollte. Die Straßen- und Bauwerksfinanzierung könnte z.B. durch ein einheitliches Qualitäts-Bewertungssystem und gebaute Straßenkilometer über eine Steuer an die entsprechenden Länder umverteilt werden. Das Fahrzeugaufkommen wird ja mehrfach gemessen. Damit würden die Infrastrukturen dazu überflüssig und über die Qualitätsbewertung würde ein Anreiz für die Staaten geschaffen, den Straßenzustand kontinuierlich zu verbessern.
Zusätzlich dazu würden die unsäglichen Maut-Debatten der letzten Jahre obsolet...
Sehr geehrter Herr S.,
tatsächlich beschäftigt die Vereinheitlichung der länderspezifischen Mautsysteme die EU schon seit langem. Die diesbezüglich wesentliche Eurovignetten-Richtlinie wurde etwa schon 1999 verabschiedet und die Richtlinie über die Interoperabilität elektronischer Mautsysteme 2004. Obwohl ersteres zum zweiten Mal 2022 novelliert wurde und letzteres 2019, ist das Ausmaß der Harmonisierung weiterhin ausbaufähig.
Ursache für diesen langwierigen und stellenweise nicht vorhandenen Vereinheitlichungsprozess ist die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedsstaaten und der EU. Sowohl die Vignette als auch die Maut ist beides eine Gebühr und somit eine Einnahmequelle für den Staat. Mithin ist dessen Festlegung Teil der nationalen Souveränität. Da sich die nationalen Gegebenheiten und dementsprechenden Herausforderungen stark unterscheiden, ist eine Einigung zwischen den 27 Mitgliedsstaaten schwierig. Mithin wurde als Rechtsakt auch eine Richtlinie gewählt, die im Unterschied zur Verordnung den Mitgliedsstaaten einen größeren Umsetzungsspielraum lässt. Somit werden beim Mautsystem auch perspektivisch gewisse nationale Differenzen bestehen bleiben.
Trotzdem bemühen wir uns als Delegation der Freien Demokraten im Europäischen Parlament kontinuierlich die Vereinheitlichung der länderspezifischen Mautsysteme voranzutreiben. Deshalb haben wir etwa auch intensiv die Novellierung der Eurovignetten-Richtlinie unterstützt. Hierdurch wird insbesondere die Harmonisierung der Lkw-Maut vorangetrieben. Demnach soll für schwere Nutzfahrzeuge ab 2030 zumindest auf den wichtigsten transeuropäischen Straßen (TEN-V) die Vignette als zeitabhängige Gebühr abgeschafft werden. Stattdessen soll eine Lkw-Maut eingeführt werden, welche die Gebühren nach der tatsächlich zurückgelegten Strecke berechnet. Diesbezügliche Ausnahmen sind nur in begründeten Fällen möglich. Diese schrittweise Umstellung baut nicht nur Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt ab und harmonisiert diesen weiter, sondern leistet auch einen ersten Beitrag dazu, die Emissionen nach dem Verursacherprinzip zu senken. Daneben gibt es ab 2024 auch zwei verbraucherfreundliche Änderungen für Pkw-Fahrer. Erstens werden für Kurzzeitvignetten Preisobergrenzen gelten und zweitens werden für Transitreisende Tagesvignetten erhältlich sein.
Ich hoffe, dass ich Ihrem Anliegen gerecht wurde und Ihre Fragen ausreichend beantworten konnte. Sollten Sie Nachfragen haben, können Sie mich gerne jederzeit kontaktieren.
Mit freundlichen Grüßen aus Brüssel,
Jan-Christoph Oetjen