Wurde beim neuen Wahlrecht auch darüber diskutiert, das Mehrheitssystem der Zweitstimme zu ändern?
Wenn nein, wie stehen Sie zu Alternativen wie Präferenzwahl? Wenn ja, warum wurde das alte System beibehalten?
Sehr geehrter Herr D.,
vielen Dank für Ihre Anfrage zur Wahlrechtsreform. Ich hoffe, ich habe Ihre Frage richtig verstanden.
Dass die Größe des Bundestages längst über die eigentlich vorgesehene Zahl der Sitze hinausgewachsen ist und Handlungsbedarf besteht, ist bekannt. Daher haben wir uns die Wahlrechtsreform fest in unserem Koalitionsvertrag vorgenommen. Wie eine Verkleinerung des Bundestages vonstattengehen kann, wurde allerdings sehr kontrovers diskutiert. War es zwischenzeitlich der Plan, über eine Drittstimme eine Art Präferenz einzuführen, d.h. ein Kreuz für denjenigen Bewerber zu setzen, den man gerne im Bundestag sehen würde, sollte die Erststimme kein Mandat bekommen, so stand schlussendlich ein anderer Vorschlag zur Abstimmung. Fortan wird die Regelgröße des Bundestages auf 630 Mandate erhöht und das Hinzukommen vielzähliger Überhang- und Ausgleichsmandate ausgeschlossen.
Es war ein langer Prozess, bis wir uns auf die nun verabschiedete Wahlrechtsreform einigen konnten. Natürlich wurde auch über die Erst- und Zweitstimme diskutiert, wobei ich persönlich die Zweitstimme als äußerst notwendig erachte. Von vorn herein möchte ich jedoch klarstellen, dass die Zweitstimme nicht nach der Mehrheitswahl, sondern nach der Verhältniswahl zustande kommt. Die Mehrheitswahl wird auf die Erststimme angewendet, weshalb wir zusammenfassend in Deutschland ein sogenanntes personalisiertes Verhältniswahlrecht haben.
Mit der Zweitstimme kann unabhängig vom Direktkandidaten (Erststimme) der politische Wille der Wählerinnen und Wähler adäquat im Parlament abgebildet werden. Es handelt sich hierbei um die sogenannte Verhältniswahl, die wir mit der Wahlrechtsreform noch einmal gestärkt haben. Denn klar ist: Mit der Zweitstimme wird die politische Repräsentanz nicht nur einer Person gegeben, sondern entsprechend dem Stimmenverhältnis auf die einzelnen Parteien aufgeteilt. Neu ist nun, dass die Zahl derjenigen, die über die Erststimme in den Bundestag einziehen, dem Verhältnis der Sitze, die einer Partei im jeweiligen Bundesland über die Zweitstimme zustehen, entsprechen muss. Dies stärkt die demokratische Repräsentanz.
Die von Ihnen erwähnten Präferenzstimmen finde ich vom Grundgedanken her interessant. Ein Ranking vorzunehmen, ist in der Umfragenforschung ein beliebtes Mittel, damit sich die Befragten noch einmal intensiver mit der Sachlage auseinandersetzen und ihren Willen nachdrücklicher ausdrücken können. Allerdings sehe ich bei Bundestagswahlen auch den enormen Aufwand, der hinter der Auszählung derartiger Stimmzettel steht und somit auch die Fehleranfälligkeit. Ebenso könnte es dadurch öfter dazu kommen, dass keine eindeutigen Ergebnisse erzielt und Stichwahlen für einzelne Wahlkreise notwendig werden, was nicht nur den Aufwand, sondern auch die damit einhergehenden Kosten in die Höhe treiben würde. Mit dem oben genannten Vorschlag der Drittstimme wäre eine Art Präferenzwahl möglich gewesen.
Ich sehe die Wahlrechtsreform als eine Chance an, durch die sich wieder mehr Bürgerinnen und Bürger mit unserem demokratischen System beschäftigen. Und gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass die Änderungen für jede und jeden am Wahltag umsetzbar und nachvollziehbar sind.
Mit freundlichen Grüßen
Isabel Mackensen-Geis