Ingrid Nestle sitzend vor einer grünen Hecke in einem orangefarbenen Blazer
Ingrid Nestle
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Frage von Inge C. •

Sollte das Angebot der Ukraine, Atomstrom nach Deutschland zu liefern, nicht lieber gleich an Frankreich weitergeleitet werden ?

Ich habe heute gelesen (ZDF), dass die Ukraine an Deutschland ein Angebot zur Lieferung von Atomstrom unterbreitet hat. Da Deutschland aber genug Strom für das eigene Land produziert (auch mit Gaskraftwerken) und überschüssigen Strom an Frankreich verkauft (eventuell mit Gas hergestellt), könnte Deutschland Gas einsparen, wenn die Ukraine den Atom-Strom direkt an Frankreich liefert, natürlich würden dann deutsche Energiekonzerne weniger Gewinne machen, aber Deutschland würde das Gas für die Heizungen im Winter haben. Wenn ich das richtig verstanden habe, heißt es immer, wir haben kein Stromproblem, sondern ein Gasproblem...

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau C.,

 

vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihre Frage. Sie haben absolut richtig erkannt, dass Frankreich, verursacht durch langwierige Wartungen von zahlreichen Atomkraftwerken, aktuell mehr Strom aus dem Ausland importieren muss als gewöhnlich um seinen Bedarf zu decken. Neben dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und der strategischen Gasreduzierung durch den Kreml ist also die große Unzuverlässigkeit der Atomkraftwerke ein relevanter Stressfaktor für die Stromversorgung Deutschlands und beeinträchtigt somit die Strompreise.

Ebenso ist es richtig, dass Deutschland sich bilanziell betrachtet mit Strom selbst versorgen kann. Das heißt, dass über das Jahr betrachtet genug Strom in Deutschland produziert wird um die hiesige Stromnachfrage zu bedienen. Allerdings ist das nicht gleichzusetzen mit einer tatsächlichen Selbstversorgung zu jedem Moment und an jedem Ort Deutschlands. So wird beispielsweise an vielen Stunden im Jahr Strom aus Österreich oder Skandinavien importiert. Denn wir haben immer mehr Erneuerbare Energien in unserem Energiesystem und diese sind abhängig von Sonne und Wind. Wenn in Deutschland also weniger Wind weht oder Sonne scheint, dann können wir Strom aus Wasserkraftwerken in Österreich oder Windenergieanlagen aus Dänemark importieren. In anderen Momenten exportiert Deutschland wiederum Strom.

Gleichzeitig allerdings unterscheidet sich der Transport von Strom aufgrund seiner physikalischen Eigenschaft grundlegend von anderen Energieträgern. Während ein bestimmtes Stück Kohle in einer Mine abgebaut und dann genau dieses Stück nach Deutschland importiert und in einem Kraftwerk verbrannt wird, fließen die von beispielsweise einem schwedischen Windrad produzierten Elektronen nicht tatsächlich bis zum E-Auto in Bayern, sondern sie werden schon deutlich früher - weiter im Norden - verbraucht und erscheinen nur bilanziell in den Büchern des bayrischen Stromanbieters, der die Ladesäule beliefert. Der in der Ukraine produzierte Strom kann entsprechend auch nicht speziell durch Deutschland durchgeleitet werden und direkt an Frankreich geliefert werden. Stattdessen wird der Strom Teil unseres deutschen Strommixes und teils in Deutschland verbraucht. Nichtsdestotrotz kann so ein Beitrag dazu geleistet werden, das Stromangebot insgesamt zu erhöhen und Frankreich leichter mit Stromexporten aus Deutschland zu unterstützen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Ingrid Nestle

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