Frage an Ingrid Nestle von Ben K. bezüglich Umwelt
Sehr geehrte Frau Nestle,
wie wollen die Grünen, wenn die Energieerzeugung weitgehend Klimaneutral ist, die Versorgungssicherheit garantieren?
Da Windkraft und Sonnenenergie, die ja den größten Teil der erneuerbaren Energien ausmachen, ohne Wind bzw. Sonne nichts bringen. Würde es nicht zu etlichen Stromausfällen kommen?
Mit Freundlichen Grüßen B. K.
Sehr geehrter Herr K.,
vielen Dank für Ihre Nachricht und die damit verbundene Frage!
Sie adressieren ein wichtiges Thema. Tatsächlich ist es extrem selten, dass die Erneuerbaren europaweit keinen Strom liefern. Aber natürlich sind sie nicht so einfach zu steuern und deshalb werden sie im Stromsystem der Zukunft flankiert von verschiedenen unterstützenden Elementen.
Dazu gehört zum Beispiel der Ausbau des Stromnetzes und damit der überregionale Austausch. Allein die Verbrauchsspitzen unterscheiden sich von Land zu Land. Während wir im Winter abends am meisten Strom benötigen, liegt die Verbrauchsspitze in Italien im Sommer mittags, ausgelöst durch den Bedarf für die Kühlung.
Ein weiterer Teil der Lösung ist die Anbindung an die großen Speicherkapazitäten in Skandinavien und im Alpenraum. Allein in Norwegen steht 2000 mal so viel Strom aus Speicherwasserkraftwerken zur Verfügung wie in Deutschland. Große Kapazitäten in Schweden, Finnland, Österreich und der Schweiz kommen hinzu. Nächstes Jahr soll ein neues Seekabel nach Norwegen in Betrieb gehen, dass so viel Strom transportiert, wie ein großes Atomkraftwerk produzieren kann.
Teil der Lösung sind auch steuerbare Erneuerbare wie zum Beispiel Biogas. Künftig wird es auch möglich sein Wind- und Solarstromspitzen als Wasserstoff zu speichern und bei Bedarf einzusetzen. Das ist zwar relativ teuer. Da der Wasserstoff aber nur an wenigen Tagen im Jahr tatsächlich notwendig sein wird, fallen die Gesamtkosten nicht sehr ins Gewicht.
Und zur Lösung gehört ein sehr viel intelligenteres Stromsystem, in dem auch Verbraucher einen Anreiz haben, ihre E-Autos zum Beispiel nicht alle gleichzeitig zu laden, sondern sinnvoll über die Nacht verteilt. Sehr viel Energie geht auch immer für’s Heizen drauf und Wärmespeicher sind sehr günstig. Auch hier kann intelligente Politik Anreize setzen, dann Wärme zu produzieren, wenn gerade viel Wind weht. Und natürlich werden zu einem späteren Zeitpunkt auch Speicher eingesetzt werden, die technisch längst entwickelt sind. Sie kommen heute aber noch nicht zum Zug, weil das Überangebot an Kohlestrom sie systematisch aus dem Markt drängt.
Wichtig ist, dass wir das Thema Versorgungssicherheit nicht national sondern international/europäisch betrachten. Bereits im Jahr 2015 hat Deutschland zusammen mit 11 europäischen Nachbarstaaten ein Abkommen zur verstärkten Kooperation für die Erhaltung der Versorgungssicherheit im Strombereich geschlossen. Hinter diesem Abkommen steckt die Idee, dass irgendwo in Europa immer die Sonne scheint bzw. der Wind weht. Leidet ein Land einmal kurzfristig an einem Versorgungsengpass, kann ein anderes Land aushelfen. Voraussetzung für eine gute europäische Kooperation ist, dass die Stromnetze weiter grenzübergreifend gut ausgebaut werden. Hier hat es in den letzten Jahren bereits einige Fortschritte gegeben. Klar ist aber auch, dass mit steigendem Anteil der Erneuerbaren weiterer Ausbaubedarf besteht.
Tatsächlich sind es inzwischen oft die Atom- und Kohlekraftwerke, die die Versorgungssicherheit gefährden. Kürzlich musste das AKW Grohnde vom Netz genommen werden, weil die Kühlung über den Fluss im Hitzesommer nicht mehr zu machen war. Sowohl Frankreich als auch Belgien haben immer wieder massive Probleme mit ihren Atomkraftwerken und waren auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen, um bei sich den Blackout zu vermeiden. Auch der Betrieb von Kohlekraftwerken ist nicht sicher, wenn bei Niedrigwasser die Kohle nicht mehr über die Flüsse transportiert werden kann, wie wir es letztes Jahr gesehen haben. Gerade in Zeiten der Klimakrise funktionieren Kohle und Atom also längst nicht mehr so zuverlässig, wie es ihnen oft zugeschrieben wird. Die Herausforderungen bei den Erneuerbaren sind andere, aber sie sind nicht unbedingt schwerer zu meistern. Durch das dezentrale System, bei dem viele verschiedene Anlagen und Technologien ineinander greifen, sind Ausfälle einer einzelnen Technik im erneuerbaren Stromsystem viel leichter zu verkraften als bei einer Dominanz von Kohle oder Atom.
Ich hoffe Ihnen mit meiner Antwort weitergeholfen zu haben!
Mit besten Grüßen
Ingrid Nestle