Frage an Hilde Mattheis von Peter M. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Frau Mattheis,
Sie waren Berichterstatterin zu dem Gesetzentwurf BT-Drs. 19/18111 (Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite). Gegenstand dieses Gesetzes war u.a. die Einführung einer Entschädigungsregelung für erwerbstätige Sorgeberechtigte, die aufgrund der Schließung von Betreuungseinrichtungen für ihre Kinder Verdienstausfälle erleiden (§ 56 Abs. 1a IfSG). Umfang und Dauer des Anspruches wurden in Abs. 2 Satz 4 geregelt.
Insbesondere die von Ihnen mit beschlossene Beschränkung auf 6 Wochen halte ich für evident verfassungswidrig (Art. 3 und 6 GG).
Es besteht eine dem Schutzauftrag des Staates für Familien und Mütter nicht gerecht werdende und sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung zu anderen Arbeitnehmern, denen aufgrund behördlicher Maßnahmen die Erbringung der Arbeitsleistung ebenfalls unmöglich ist, sei es im Hinblick auf § 56 Abs. 1 IfSG, der nach Abs. 2 zeitlich nicht beschränkt wird, oder auch und insbesondere im Hinblick auf die Regelungen zum Kurzarbeitergeld. Werden aufgrund behördlicher Maßnahmen Betriebe geschlossen, können Arbeitnehmer für einen Zeitraum von bis zu 12 Monaten Kurzarbeitergeld erhalten.
Die Frage ist auch nicht rein theoretisch, da absehbar ist, dass Kitas und Grundschulen noch weit länger als 6 Wochen geschlossen bleiben.
Die Gesetzesbegründung, wonach "Homeoffice" eine "zumutbare" Betreuungsalternative sei, ist mehr als lebensfremd und offenbar der Feder eines Ministerialbeamten entsprungen, der keine Kleinkinder betreuen muss, während er Gesetzesentwürfe ausarbeitet. Die Aufzählung der übrigen handwerklichen Fehler dieser Norm in der praktischen Anwendbarkeit würde an dieser Stelle zu weit führen.
Da das Kabinett offenbar die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes beschlossen hat, wird auch die Differenzierung zur Höhe des Verdienstausfalles nach dem IfSG verfassungsrechtlich bedenklich.
Im Übrigen halte ich davon abgesehen die politische Signalwirkung einer solchen Arbeitnehmer mit Kindern benachteiligenden und vernachlässigenden Regelung für die SPD für verheerend.
Wie stehen Sie zu den Regelungen und werden Sie sich für eine Änderung zugunsten der Familien einsetzen?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr M.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Zunächst bitte ich um Verständnis für die Gesetzgebungsarbeit des Bundestages in diesen sehr außergewöhnlichen Zeiten. Für das von Ihnen kritisierte Gesetz hatte der Bundestag de facto 48 Stunden Zeit gehabt, um es zu lesen und zu bearbeiten. Dies ist angesichts der Komplexität der Beschlüsse eine unverhältnismäßig kurze Zeit, die aber nicht zu ändern war. Eine schnelle Antwort auf die Krise war und ist nötig. Die Abgeordneten aller Fraktionen haben das Gesetz mitgetragen, wohlwissend, dass es inhaltliche Mängel aufweisen könnte. Was wir durchgesetzt haben, ist, dass das gesamte Gesetz befristet wird und nach Beendigung der Krise die Überarbeitung des Infektionsschutzgesetzes von uns erneut geprüft wird, um dann in Ruhe tragfähigere Lösungen und Vorschläge zu arbeiten. Der ursprüngliche Entwurf der Bundesregierung sah vor, dass die Legislative komplett ausgeschlossen war. Das haben wir geändert.
Das jetzt beschlossene Gesetz ist in vielen Punkten eine schnelle Antwort auf die drängendsten Probleme für viele Menschen und auf die Probleme beim Infektionsschutz, die diese Pandemie offenbart hat.
Die von Ihnen kritisierte Regelung stellt eine Entschädigung für Eltern in einem sehr spezifischen Fall dar, nämlich wenn sie durch den Ausfall der Kinderbetreuung (Kita, Hort, Tagesmütter) automatisch ihren normalen Arbeitsverdienst verlieren. Nur für diesen Fall greift das Infektionsschutzgesetz. Diese Entschädigung ist in diesem Sinne keine familienpolitische Leistung, sondern auf einen sehr begrenzten Personenkreis beschränkt.
Hier ist Interpretation, dass der Gesetzgeber meint, HomeOffice sei eine zumutbare Betreuungsalternative nicht richtig. Das Gesetz definiert viel mehr mit den Bestimmungen, welche Personen eine Entschädigung in Anspruch nehmen können, nämlich wenn ein kompletter Verdienstausfall wegen Kinderbetreuung bzw. Schließung der eigentlichen Kinderbtetreuung besteht. Dieser Verdienstausfall ist bei HomeOffice nicht gegeben. Unabhängig davon ist die Kinderbetreuung und HomeOffice für viele Familien eine große Belastung, insbesondere auf Dauer. Das ist unbestritten. Eltern, vor allem Alleinerziehende, leisten daher auch unglaublich viel, um irgendwie Job und Kinder miteinander zu vereinbaren. Ich kann nachvollziehen, dass viele Eltern zunehmend verzweifelt sind, da eine monatelange Betreuung der Kinder „nebenbei“ inklusive der Ausgangsbeschränkungen für die Kinder eine enorme Belastung darstellt.
Ich halte es daher für absolut richtig, die Entlastung von Eltern auf verschiedenen Wegen in Angriff zu nehmen. Oberstes Ziel ist es dabei für meine Fraktion, dass die ordentliche Kinderbetreuung in Kindertagesstätten wieder aufgenommen wird. Genauso wie die Schulöffnung sollen Länder prüfen, wie und auf welchen Wegen auch Kitas eine Betreuung unter Wahrung der Hygieneregeln anbieten können. Wenn das aufgrund des Infektionsgeschehens nicht möglich ist, müssen wir auch Lohnersatzleistungen ähnlich dem Elterngeld prüfen. Ich hielte es dann aber für sinnvoller, so etwas über eine Familienleistung und das Bundesfamilienministerium zu regeln, als dies hilfsweise im Infektionsschutzgesetz unterzubringen, das, wie dargelegt, eigentlich nur eine Hilfsmaßnahme für einen kleinen Kreis der Eltern darstellt.
Mit freundlichen Grüßen
Hilde Mattheis, MdB