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Frage von Gisela G. •

Frage an Hilde Mattheis von Gisela G. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrte Frau Mattheis!

Die wirtschaftliche Produktivität hat auf Grund umfassender technologischer Erfolge in den letzten Jahrzehnten weltweit enorm zugenommen. Seitdem wird in immer größerem Umfang menschliche Arbeitskraft durch den Einsatz von Maschinen und neue Produktionstechniken ersetzt. Mit anderen Worten: Immer weniger Menschen erwirtschaften immer mehr Güter, Waren, Dienstleistungen. Und immer weniger Menschen können sich die inzwischen im Überfluss hergestellten Waren und Güter leisten.

Der Ausweg aus dem Dilemma sieht der Mainstream in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft – national wie international - in der Steigerung der Produktivität bei Senkung der Arbeitskosten, Rationalisierungen und einem drastischen Abbau der sozialen Sicherungssysteme. Angeblich soll dieses Patentrezept, den Anstieg der Arbeitslosigkeit stoppen und neue Arbeitsplätze schaffen. Im Ergebnis wird jedoch lediglich die Produktivität steigen: es werden noch weniger Menschen noch mehr Waren, Güter, Dienstleistungen für ein geringeres Einkommen erwirtschaften und noch weniger Menschen werden sich noch weniger leisten können.

Dazu folgende Fragen an Sie:

1) Halten Sie Vollbeschäftigung zu menschenwürdigen Bedingungen in Deutschland in den nächsten 20 Jahren für erreichbar?
2) Wenn nein, wie wollen Sie verhindern, dass die beschriebene Entwicklung zu einer dauerhaften Benachteiligung und Verarmung weiter Bevölkerungskreise geht?
3) Wie beurteilen Sie die Chancen und Möglichkeiten, die ein bedingungsloses Grundeinkommen (siehe z.B. www.grundeinkommen.de) in diesem Zusammenhang bietet?

Über eine Antwort würde ich mich freuen.

Mit freundlichen Grüßen
Gisela Glück-Gross

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Sehr geehrte Frau Glück-Gross,

auch wenn es im Moment nicht so aussieht, als ob wir in Deutschland jemals wieder Vollbeschäftigung erreichen werden, stehen unsere Ziele fest: Alle Anstrengungen sind auf die Senkung der Arbeitslosigkeit zu verwenden um in näherer Zukunft wieder Vollbeschäftigung in Deutschland zu erreichen.

Wir sind der Auffassung das Deutschland bezüglich der Arbeitslosigkeit die Talsohle durchschritten hat. Die in der letzten Legislaturperiode angegangenen umfassenden Arbeitsmarktreformen beginnen zu wirken. Die Binnennachfrage zieht langsam aber sicher an. Die Unternehmen blicken zunehmend positiv in die Zukunft. Die Auftragslage hat sich deutlich verbessert. Dies erhöht die Chance auf Investitionen und somit der Schaffung von Arbeitsplätzen.

Zum Thema Vollbeschäftigung ist folgendes zu sagen. Allein der demographische Wandel wird zu einer signifikanten Senkung der Arbeitslosigkeit in den nächsten 30 Jahren führen. Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland wird von gegenwärtig rund 82 Millionen nach Angaben der jüngsten Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen Bundesamtes bis zum Jahr 2050 auf knapp unter 65 Millionen Einwohner abnehmen. Ein Überangebot an Arbeitskräften, wie es im Moment der Fall ist, wird also nicht mehr in diesem Maße bestehen. Teilweise wird sogar befürchtet, dass es im Jahre 2050 einen Mangel an Arbeitskräften geben wird. Vollbeschäftigung ist also keine Illusion.

Was zunächst positiv klingt birgt aber immense Gefahren in sich. Bis 2050 wird sich der Anteil der unter 20jährigen von derzeit 21 % auf 16 % verringern; der Anteil der 60jährigen und älteren Menschen wird sich dagegen von 22 % auf 37 % spürbar erhöhen. Die Zahlen machen deutlich, dass die Veränderung der Anteile der Generationen in unserer Gesellschaft so gravierend ist, dass der Generationenvertrag neu ausbalanciert werden muss. Solidarität wird also einen noch höheren Stellenwert bekommen. Deswegen machen wir uns für eine Bürgerversicherung stark, in der sozusagen jeder Mensch in unserem Land versichert ist. Auch Gutverdienende, Beamte Selbstständige und Politiker werden in die solidarische Krankenversicherung einbezogen. Die Höhe der Beiträge richten sich nach der jeweiligen Leistungsfähigkeit des Versicherten. Solidarität heißt nun mal, dass der Starke den Schwachen stützt. Dies macht zum anderen deutlich, dass die von der Union vorgeschlagene Kopfpauschale, bei der jeder sozusagen den gleichen Betrag zu leisten hat höchst unsolidarisch und ungerecht ist. Es kann doch nicht sein, dass die Bäckersfrau genauso viel zu zahlen hat wie der Spitzenmanager. Dies ist zudem auf Grund der angesprochenen Bevölkerungsentwicklung nicht finanzierbar.

Der demographische Wandel birgt noch eine weitere Gefahr. Ohne weitere Maßnahmen wird sich die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte, das so genannte Erwerbspersonen-Potenzial, von derzeit fast 42 Millionen bis zum Jahr 2050 auf knapp 30 Millionen verringern. Die Zahl der Hochqualifizierten, also der Arbeitskräfte mit Hochschulabschluss oder Meisterbrief, wird um knapp 2 Millionen auf 8,9 Millionen sinken. Dieser Fachkräftemangel wird, wenn nichts geschieht, auch einfachere Arbeitsplätze gefährden. Betriebe, die keine Ingenieure finden, die neue Maschinen konstruieren, brauchen auch weniger Mitarbeiter, welche die Produkte bauen, warten, transportieren oder vermarkten. Der Schlüssel zu diesem Problem liegt also in der Bildung. Was in den 90er Jahren von der Kohlregierung schmerzlich vernachlässigt wurde sind wir angegangen. Der Etat des Ministeriums für Bildung und Forschung wurde signifikant erhöht und zwar von 7,26 Milliarden Euro im Jahre 1998 auf 8,45 Milliarden Euro im Jahre 2005.
Wir setzten uns zudem für eine frühkindliche Förderung im Alter von 0-3 Jahren an. Bildung darf nicht vor dem Alter halt machen. Gerade in den sehr frühen Jahren ist der Mensch extrem lern- und aufnahmefähig. Diesem Umstand muss Rechnung getragen werden.
Das Erststudium muss gebührenfrei bleiben. Das Bäfög muss in seiner Form erhalten bleiben. Bildung darf nicht am Geldbeutel scheitern. Schon jetzt haben wir im Vergleich zu anderen europäischen Staaten zu wenig Studenten. Die PISA-Studien haben uns zudem attestiert, dass unser Ausbildungssystem bislang höchst ungerecht ist. Die Vorschläge der Union würden zu einer Verschärfung dieses Problems führen. Die Langzeitwirkungen wären verheerend.

Zum Modell des Grundeinkommens:

Das Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens ist sicherlich interessant und es ist lohnenswert sich damit zu beschäftigen. Bezüglich der Finanzierbarkeit eines solchen Modells bestehen aber erhebliche Zweifel. Im Moment ist es ja schon schwierig unsere Arbeitslosen zu finanzieren. Allein eine monatliche Zahlung von 500 Euro an jeden Bundesbürger hätte ein jährliches Ausschüttungsvolumen von 432 Mrd. Euro. Zum Vergleich: Der Gesamtetat des Bundeshaushalts beträgt etwa 240 Mrd. Euro. Zusätzlich wäre bei der Abkoppelung des Einkommens von einer Erwerbstätigkeit zu befürchten, dass der Leistungsgedanke völlig abgewürgt werden würde. Die fehlenden Leistungsanreize hätten einen völligen Niedergang der Produktivität zur Folge. Die wirtschaftlichen Konsequenzen dürften ja landläufig bekannt sein und waren auch ein Grund für den Niedergang des sozialistischen Ostblocks.

Unserer Ansicht nach muss daher der Leistungsgedanke in den Grundzügen beibehalten werden. Jedoch muss auf der anderen Seite immer ein soziales Netz bestehen, dass die sozial Schwachen in unserer Gesellschaft auffängt um diesen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Die neoliberalen Pläne der Union/FDP scheinen dies jedoch in Frage zu stellen. Für uns heißt es weiterhin, dass die finanziell Starken die finanziell Schwachen unterstützen müssen.
Deshalb haben wir 2003 die Grundsicherung eingeführt, die in die Richtung eines Grundeinkommens geht. Die Grundsicherung ist eine eigenständige soziale Leistung, die den grundlegenden Bedarf für den Lebensunterhalt älterer und/oder dauerhaft voll erwerbsgeminderter Personen sicherstellt. Es handelt sich hierbei nicht um Sozialhilfe. Anspruch auf Leistungen haben Personen, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen bzw. aus dem Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder des eheähnlichen Partners - soweit es deren Eigenbedarf übersteigt - bestreiten können. Es gibt also schon Instrumente, die es jedem Bürger, unabhängig von seinen Umständen, ermöglichen ein menschenwürdiges Leben zu führen. Dass dies so bleibt ist oberstes Anliegen der SPD.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Hilde Mattheis, MdB