Wie priorisieren Sie ganz persönlich „Patientensicherheit“, wenn ab 2022 EU-weit mutmasslich gesundheitsschädliches Titandioxid in Lebensmitteln zwar verboten, in Medikamenten aber erlaubt bleibt?
Die EU-Kommission hat ab 2022 den Einsatz von Titandioxid in allen Lebensmitten verboten und folgt damit dem Vorsorge- und Präventiongedanken im Sinne des Verbraucherschutzes in allen Mitgliedsstaaten, also auch in Deutschland. Das ist gut! Bei der Herstellung und Inverkehrbringung von Arzneimitteln, die in besonderer Weise das Vertrauen des Konsumenten bedingen, gilt diese Regel nicht. Das ist schlecht! Die Pharmawirtschaft adressiert das Argument in Gefahr stehender Versorgungssicherheit oder gar unterbrochener Lieferketten an die Politik, um entweder dauerhaft von der Regel ausgeklammert zu bleiben oder mindestens Übergangsfristen von sehr vielen Jahren auszuhandeln.
Wie werden Sie als Mitglied des Gesundheitsausschusses auf das Thema reagieren? Ist Patientensicherheit weniger „wert“, als allgemeiner Verbraucherschutz? Können Sie bitte Stellung nehmen zu der Frage, warum die Politik hier erkennbar gegenüber marktmechanistischen Argumenten der Pharma-Lobby einbricht?
Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr M.,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema Titandioxid. Dieser Zusatzstoff, der auch als E171 gekennzeichnet wird, dient in Lebensmitteln als weißer Farbstoff und wird insbesondere in Kaugummis, Backzutaten und Backwaren verwendet. Inzwischen gibt es Erkenntnisse, dass die winzigen Nanopartikel, aus denen Titandioxid besteht, körperliche Schutzbarrieren wie die Darmbarriere passieren können. So könnten sie die Darmflora schädigen und zum Beispiel Krebs verursachen.
Auf der Grundlage einer im vergangenen Oktober veröffentlichten Analyse der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zur Verwendung von Titandioxid in Arzneimitteln soll Titandioxid bis auf weiteres als Zusatzstoff erlaubt bleiben. Einer der Gründe für diese Entscheidung ist die Vermeidung von Engpässen. Man müsse zunächst geeignete Alternativen untersuchen und prüfen, um negative Auswirkungen auf die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit der Arzneimittel auszuschließen. Unbegrenzt Zeit lassen darf sich die Industrie aber nicht, denn die Situation soll in drei Jahren durch die EMA und die Europäische Kommission neu bewertet werden.
Wie die EMA in ihrer Analyse weiter ausführt, wird Titandioxid extensiv in der Arzneimittelherstellung genutzt: Laut den EU-Handelsverbänden enthalten etwa 91.000 Humanarzneimittel und 800 Tierarzneimittel in der EU Titandioxid. Das betreffe so gut wie alle oralen Arzneiformen: Tabletten, Weichkapseln, Hartkapseln, Granulate etc.. Essenzielle Arzneimittel wie Antidiabetika oder Antibiotika seien betroffen. Die verbreitete Nutzung dieses Zusatzstoffs wird damit begründet, dass bislang kein anderes Material identifiziert worden sei, das über die gleiche Kombination an Eigenschaften verfüge.
Als SPD-Bundestagsfraktion nehmen wir den gesundheitlichen VerbraucherInnenschutz sehr ernst. Neben dem gesetzlichen Rahmen spielen hierbei die Forschung und die Risikobewertung von Produkten und Stoffen eine wichtige Rolle. Die wissenschaftliche Beratung der beteiligten Bundesministerien sowie anderer Behörden, wie z.B. des Bundesamtes für Risikobewertung (BfR) oder – wie in diesem Fall – der EMA ist dabei zentral. Daher hoffe ich, dass es schnell zu einem Abschluss des Überprüfungsverfahrens kommt.
Mit freundlichem Gruß
Ihre
Heike Baehrens