Hakan Demir
Hakan Demir
SPD
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Frage von Paul I. •

Frage zum Fachkräfte-Einwanderungsgesetz

Sehr geehrter Herr Demir,

Sie gehörten zu den großen Beführwortern des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Meine Fragen dazu:
1. In Südeuropa haben wir teilweise 20-27% Jugendarbeitslosigkeit (Griechenland, Spanien, Italien). Wie erklären Sie es sich, dass die jungen Leute aus diesen Ländern nicht herkommen und hier arbeiten. In der EU wäre das ja möglich. Liegt es vielleicht daran, dass die Arbeitsbedingungen hier nicht gut genug sind?

2. Die bisherigen Gehaltssschwellen zur Aufnahme einer Arbeit in Deutschland sollen nun nochmals abgesenkt werden - und zwar auf 43.800 Euro brutto jährlich. Wie erklären Sie es sich, dass bei einem angeblichen Mangel, die Firmen nicht bereit sind, mehr Lohn zu zahlen? Wenn der Mangel so gravierend wäre, müssten die Firmen doch bereit sein, auch für einen ausländischen Mitarbeiter die bisherigen 58 Tsd Euro zu Zahlen. Sind die Arbeiter hierzulande vielleicht einfach zu teuer und es geht doch um Lohndumping?

Hakan Demir
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr I.,

herzlichen Dank für Ihre Fragen zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz. 

Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein wichtiger Schritt, um Deutschland weiter für Arbeitskräfte von außerdem der EU zu öffnen. Allein um das Arbeitskräfte-Angebot stabil zu halten, um also all die Aufgaben zu erfüllen, die in Deutschland in den verschiedenen Branchen anfallen, braucht es eine jährliche Netto-Zuwanderung von 400.000 Menschen. Um dies dauerhaft sicherzustellen, ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ein großer Erfolg und ich bin froh, dass ich als Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion an diesem Gesetz mitwirken durfte.

Sie werfen die Frage auf, warum dieses Arbeitskräftepotenzial nicht aus der EU gedeckt werden kann, obwohl in anderen Teilen der EU teils deutlich höhere Arbeitslosigkeit (sowohl unter Jugendlichen als auch insgesamt) als auch niedrigere Löhne vorherrschen. Dazu ist erst einmal zu sagen, dass Deutschland weiterhin Zuzugsland für viele Menschen aus der EU ist. Im Jahr 2022 gab es aus der EU eine Netto-Zuwanderung von 143.151 (Freizügigkeitsmonitoring des BAMF). Dieses Saldo lag jedoch in der Vergangenheit deutlich höher (z.B. bei über 370.000 Menschen im Jahr 2015). Der Rückgang liegt teilweise an der demographischen Entwicklung in den anderen EU-Staaten, teilweise auch am wirtschaftlichen Aufschwung in den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten sowie an der Erholung von Ländern wie Spanien und Griechenland nach der Euro-Krise. In Spanien hat sich die Jugendarbeitslosigkeit seit dem Höhepunkt der Krise mehr als halbiert. Insgesamt wird für die EU aufgrund der angesprochenen Trends erwartet, dass die Netto-Zuwanderung auf jährlich 50.000 Menschen zurückgeht (https://doku.iab.de/kurzber/2021/kb2021-25.pdf). Auch deshalb unterstütze ich den Kurs, dass Deutschland sich verstärkt für Menschen von außerhalb der EU öffnet, ausdrücklich. 

Die Anpassung der Gehaltsgrenze bewegt sich im Rahmen der EU-Hochqualifizierten-Richtlinie. Zuwanderungsregeln, insbesondere Gehaltsgrenzen, müssen aus meiner Sicht immer eine Balance zwischen einerseits der Verhinderung von Lohndumping, Ausbeutung und Schlechterstellung ausländischer Arbeitskräfte und andererseits der Ermöglichung von für alle Seiten gewinnbringender Zuwanderung finden. Dies war mit den hohen Gehaltsgrenzen insbesondere für junge Zuwanderer:innen nicht immer gegeben. Denn die vorherige Gehaltsgrenze lag deutlich über dem deutschen Durchschnittsverdienst und auch deutlich über den Einstiegsgehältern vieler Branchen. Die neue Regelung erleichtert insbesondere die Zuwanderung von jungen Hochqualifizierten. Mit der Bezugnahme auf die Beitragsbemessungsgrenze wird zugleich gewährleistet, dass die Gehaltsgrenze regelmäßig an die Entwicklung der Gehälter angepasst wird. 

Insgesamt weisen Sie aus meiner Sicht aber zu Recht darauf hin, dass Zuwanderung nicht zur Kaschierung inländischer Missstände auf dem Arbeitsmarkt herangezogen werden darf. Unter den Branchen, die am stärksten unter Arbeitskräftemangel leiden, sind nicht nur Branchen, die in Deutschland nicht mehr ausreichend Menschen mit den erforderlichen Skills finden - sondern auch Branchen mit vergleichsweise schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Gehältern. Es ist daher wichtig, alle Potenziale auszuschöpfen (v.a. auch mit guter Bildungs- und Weiterbildungspolitik in Deutschland) und Arbeitsbedingungen kontinuierlich besser und attraktiver zu machen. Neben dem Mindestlohn, der eine wichtige Lohnerhöhung für die Menschen mit den niedrigsten Löhnen darstellt, sind dazu vor allem eine stärkere Tarifabdeckung und die effektive Kontrolle von Arbeitsgesetzen nötig. Dazu brauchen wir starke Gewerkschaften und eine Politik, die Tariftreue z.B. in Vergabegesetzen oder auch mit Flexibilisierungen im Zuwanderungsrecht nur für tarifgebundenen Unternehmen fördert. Dafür setze ich mich als Sozialdemokrat in meinem Wahlkreis Berlin-Neukölln und in meiner Arbeit im Deutschen Bundestag sein. 

Mit freundlichen Grüßen

Hakan Demir 

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