Frage an Gudrun Kopp von Johannes von B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Kopp!
Obwohl ich eifriger Leser der FAZ bin, ist mir der Standpunkt der FDP bezüglich des Türkei Beitrittes zur EU nicht deutlich.
Dies erscheint mir um so bedauerlicher und schädlicher für die FDP als die CDU in dieser Hinsicht ziemlich herumeiert, sodaß viele ihr hinsichtlich der Ablehnung einer Vollmitgliedschaft und Freizügigkeit nicht recht trauen.
Ganz abgesehen davon, daß eine Freizügigkeit das Ende des deutschen National- und Sozialstaats bedeuten würde, liegt es auf der Hand, daß bei den Türken weitverbreitete islamistische und auch patriarchal-frauenfeindliche Einstellungen mit unserem liberalen Rechtssystem nicht kompatibel sind.
Mit freundlichem Gruß
Johannes von Bieberstein
Sehr geehrter Herr von Bieberstein,
vielen Dank für Ihre Frage nach der FDP-Position zum EU-Beitritt der Türkei.
Die FDP hat bereits im Jahr 2003 auf dem 54. Bundesparteitag in Bremen einen Beschluss dazu gefasst, den Sie unter der folgenden Adresse herunterladen können: http://admin.54.parteitag.fdp.de/uploads/412/BPT-Tuerkei.pdf . Hierin heißt es: "Europa ist der Raum der Freiheit des religiösen Bekenntnisses. Europa ist verbunden mit Werten, die zwar maßgeblich von den christlichen Religionen mitgeprägt worden sind, die sich aber gegen keine anderen religiösen Überzeugungen richten. Europa ermöglicht und verträgt deshalb die Vielfalt privater und persönlicher religiöser Bekenntnisse. Europa steht für eine Haltung und nicht für eine Religion."
Wir erkennen die bislang erreichten Fortschritte bei der Erfüllung der politischen Kriterien an, die die Türkei mit der Verfassungs- und zahlreichen Gesetzesreformen erreicht hat. Allerdings spielt die Umsetzung in die gesellschaftliche Realität eine ebenso große Rolle wie die gesetzlichen Grundlagen.
Dazu gehören unabdingbar freie Wahlen, Religionsfreiheit, Rede- und Pressefreiheit, die Unabhängigkeit der Justiz sowie ein demokratisch kontrolliertes und transparentes Militär. Weiterhin fordern wir, dass regionale (z.B. Kurdengebiet) und innereuropäische (Zypern) Konflikte friedlich gelöst werden müssen.
Zunächst muss die Europäische Union die letzte große Erweiterung mit mittel- und osteuropäischen Staaten noch ökonomisch und politisch verarbeiten. Die in Rede stehende Aufnahmeentscheidung kann erst am Ende eines tiefgreifenden Änderungsprozesses in der Türkei und einer damit einhergehenden weiteren Annäherung an die EU getroffen werden. Die Türkei muss so behandelt werden wie bislang alle übrigen Beitrittskandidaten.
Die Frage, ob die Türkei grundsätzlich europäisch einzuordnen ist, wurde bereits mehrfach beantwortet. So wurde die Türkei noch vor Deutschland 1949 in den Europarat aufgenommen. Ebenso ist die Türkei Mitglied der OSZE, in der europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, in der UEFA und selbst beim Grand Prix d´Eurovision de la Chanson. Eine geographische Abgrenzung scheidet somit als ernstzunehmendes Argument aus.
Bleibt die Frage, ob sich die Türkei auf den gleichen Werten wie die Union gründet. Dies lässt sich jedoch erst im Laufe des Beitrittsprozesses klären, da ja hierbei gerade solche Bereiche wie etwa die Gleichstellung der Frau oder die Frage der Menschenrechte den europäischen Gepflogenheiten angepasst werden müssen. Nicht zuletzt war auch schon früher, am westlichen Rand Europas, in Irland, die Situation 15 Jahre vor dem Beitritt zur EG 1973 nicht weniger "uneuropäisch". Zu diesem Zeitpunkt standen alle weiterführenden Schulen unter kirchlicher Leitung und waren bis 1967 schulgeldpflichtig. Bis 1966 unterlagen Bücher einer drakonischen Zensur. Bei dem Eintritt in die EG sah das Gesetz für Kapitalverbrechen noch immer die Todesstrafe vor, es gab keine Scheidung, Verhütungsmittel waren verboten und Schwangerschaftsabbrüche waren strafbar. Frauen konnten keine Geschworenen werden, homosexuelle Handlungen zwischen Männern waren verboten. Irland war ein Agrarland, katholisch und konservativ, repressiv und mit einer sehr rudimentären Infrastruktur. Seine Verfassung vertrat eine aggressive Haltung gegenüber einem Teil des Territoriums seines nächsten Nachbarn. Das heißt, sie erklärte, ohne jede völkerrechtliche Legitimation, die gesamte irische Insel, einschließlich Nordirlands, zum Staatsgebiet der irischen Republik. Heute ist Irland geradezu ein Musterbeispiel für europäische Integration, wirtschaftlich prosperierend und gesellschaftlich den Werten der Union tief verbunden.
Die von Ihnen befürchteten negativen Folgen der Freizügigkeit für Deutschland kann ich so nicht erkennen. Schließlich besteht bereits seit den 60er-Jahren ein Assoziierungsabkommen mit der Türkei mit Freizügigkeit im Bereich der Niederlassungsfreiheit für Unternehmen. Schaden ist unserem Land daraus nicht entstanden.
Die FDP-Position zu diesem Thema können Sie auf den Internetseiten der hierfür zuständigen Abgeordneten unserer Fraktion nachlesen: www.werner-hoyer.de, www.markus-loening.de.
Freundliche Grüße
Gudrun Kopp, MdB