Frage an Gabriele Katzmarek von Lukas B. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Katzmarek,
vielen Dank für Ihre Antwort.
Ich habe meine Fragen nicht zufällig an Sie gerichtet – mein aktueller Wohnort ist zwar Konstanz, aufgewachsen bin ich aber in Ihrem Wahlkreis, Baden-Baden. Insofern habe ich bereits und werde höchstwahrscheinlich bald wieder Sie auf dem Wahlzettel stehen haben.
Erlauben Sie mir daher bitte, meine Fragen erneut an Sie zu richten.
Anlässlich der jüngst von CDU, SPD und AfD beschlossenen „Entfristung der Vorschriften zur Terrorismusbekämpfung“ würde mich interessieren, wie Sie persönlich zum Themenkomplex „Grund- und Freiheitsrechte vs. (vermeintliche) Sicherheit“ stehen.
Halten Sie den eindeutigen Trend, die Befugnisse des Staates und der Sicherheitsbehörden stetig auszuweiten, wirklich für objektiv notwendig und verhältnismäßig?
Aktuellstes und gravierendstes Beispiel ist der Vorstoß des EU-Ministerrats, sichere Verschlüsslung generell auszuhebeln (EU-Ministerrat 12143/1/20 vom 06.11.2020).
Weitere Beispiele: Kennzeichenscanner, weiträumige Videoüberwachung, Gesichtserkennung, Staatstrojaner, Ausweispflicht bei Mobilfunkkarten, automatisierte Bestandsdatenauskunft, Fingerabdrücke im Pass oder die Vorratsdatenspeicherung.
Gibt es auf der anderen Seite Befugnisse, die Sie gerne wieder zurücknehmen würden bzw. ablehnen?
Wie begründen Sie das Vorgehen der Regierung, dass die in den Vorschriften vorgesehene Evaluierung nicht durch unabhängige Instanzen durchgeführt wurde?
Wie sollten Ihrer Meinung nach generell Bedarf und Nutzen solcher Maßnahmen evaluiert werden, Stichwort Transparenz, Unabhängigkeit und Empirie?
Muss dies bereits im Vorfeld geschehen, oder erst danach? Welche Kriterien rechtfertigen eine Maßnahme?
Zu guter Letzt: Wie stehen Sie zu heimlichen oder präventiven Maßnahmen wie bspw. Online- oder Hausdurchsuchungen?
Vielen Dank,
mit freundlichen Grüßen,
L. B.
Sehr geehrter Herr B.,
gerne beantworte ich Ihre Fragen. Vorweg will ich einige grundsätzliche Überzeugungen darlegen:
Freiheit und Sicherheit gehören für mich zusammen. Die SPD will, dass sich alle in Deutschland lebenden Menschen sicher fühlen. Sicherheit bedeutet für uns soziale Sicherheit und auch Schutz vor Gefahren, Gewalt und Übergriffen. Wir wollen eine Gesellschaft, in der sich die Menschen als Teil einer funktionierenden Demokratie fühlen und in der sie in Freiheit leben können. Dafür brauchen wir einen starken und handlungsfähigen Staat. Sozialdemokratische Innenpolitik sorgt für eine stabile Demokratie und gelingende Integration. Hass und Hetze und einem wachsenden Extremismus stellen wir uns auf allen Ebenen und in allen Teilen der Gesellschaft entschlossen entgegen.
Es ist zuvorderst Aufgabe der Sicherheitsbehörden, das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Menschen in Deutschland zu sichern. Dazu brauchen die Behörden das notwendige rechtsstaatliche Werkzeug. Wir leben in einer verfassungsrechtlich festgeschriebenen wehrhaften Demokratie.
Ja, die SPD hat der Verlängerung der Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung zugestimmt. Das ist angesichts der Bedrohung insbesondere jihadistischer Terroristen erforderlich. Nähere Informationen zur Bedrohungslage entnehmen Sie bitte dem Verfassungsschutzbericht 2019:
https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte
Innerhalb der Europäischen Union (EU) haben die Regierungen offenbar darüber beraten, die Anbieter verschlüsselter Nachrichtendienste dazu zu verpflichten, den Sicherheitsbehörden durch eine Art von Generalschlüssel in begründeten Einzelfällen für die Strafverfolgung zur Verfügung zu stellen. Mein SPD-Kollege im Europäischen Parlament, Tiemo Wölken, hat das eindeutig öffentlich abgelehnt. Die Sicherheitsbehörden brauchen keinen solchen Generalsschlüssel. Es wäre ausreichend, wenn sie im konkreten, gut begründeten Verdachtsfall Zugriff hätten.
Die Bundesregierung beabsichtigt, mit dem Gesetz zur Änderung des Verfassungsschutzrechts die Quellen-Telekommunikationsüberwachung zu ermöglichen. Voraussetzung dafür ist selbstverständlich immer ein richterlicher Beschluss und die Einbeziehung der Datenschutzbeauftragten. Es ist für eine friedliche Gesellschaft nicht hinnehmbar, dass sich gewalttätige Terroristen über Messenger-Dienste zu Straftaten verabreden, und die Sicherheitsbehörden darauf keinen Zugriff haben.
Evaluierungspflichten werden vom Gesetzgeber bestimmt. Es ist somit auch seine Aufgabe festzulegen, wer und wie beurteilt werden sollen. Es ist gängige Praxis, dass der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung immer auch externen Sachverstand einholen und in die Bewertung einfließen lassen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen die sozialdemokratische Innenpolitik näher bringen. Die SPD arbeitet dafür, das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit zu halten, damit wir möglichst frei und möglichst sicher in Deutschland leben können.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Katzmarek