Frage an Gabriele Katzmarek von Alexandra S. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Katzmarek,
die derzeitige gesellschaftliche und politische Entwicklung durch die Diskussion über die Einführung einer Masernimpfpflicht beschäftigt mich sehr.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich bereits 2016 im Rahmen der Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 019/06 mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Impfpflicht beschäftigt.
In dieser Ausarbeitung (S. 5-6) ist festgehalten, dass eine generelle Impfpflicht mit dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht vereinbar ist: „In der Abwägung [beider Positionen] sind außerdem die Schwere der Gefahr sowie die Wahrscheinlichkeit einer Infektion zu berücksichtigen. [...] Im Falle einer Maserninfektion beträgt die Sterblichkeit in Deutschland laut RKI dagegen nur 0,1 Prozent. [...] Ergibt die Abwägung im Ergebnis nur ein geringes Risiko, dürfte eine generelle Impfpflicht ein Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art 2 Abs. 2 GG darstellen, der verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen wäre.“
Wie begründen Sie es, dass drei Jahre nach dieser Ausführung des Wissenschaftlichen Dienstes eine Masernimpfpflicht (und gleichzeitig durch den Kombinationsimpfstoff auch eine für Mumps, Röteln und ggf. sogar Windpocken) eingeführt werden soll? Wie ist das verfassungsrechtlich zu rechtfertigen?
Mit freundlichen Grüßen
Alexandra Schirm
Sehr geehrte Frau S.,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 04. Oktober 2019. Zunächst einmal vielen Dank für Ihr Interesse an diesem wichtigen Thema. Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion geht es bei diesem Thema um den Schutz der gesamten Bevölkerung. Mit unseren bisherigen Bemühungen zur Steigerung der Impfbereitschaft haben wir Masern nicht eliminieren können.
Masern sind, wie Sie wissen, keine leichte Kinderkrankheit, sondern können zu schwerwiegenden Folgeinfektionen und sogar zum Tod führen. Deshalb dürfen wir eine Masernerkrankung nicht verharmlosen. Wer nicht geimpft ist, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch die Menschen in seinem Umfeld. Personen die aus Alters- oder gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können, sind auf eine hohe Durchimpfungsrate angewiesen.
Rechtlich ist es nicht leicht, einen Zwang zur Masern-Impfung durchzusetzen. Darauf hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bereits 2016 hingewiesen. Bisher gibt es auch im Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen keine Ermächtigung für eine generelle Impfpflicht. Eine Impfung sei ein Eingriff in das „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ und sei verfassungsrechtlich nur dann verhältnismäßig, wenn damit ein legitimes Ziel (also der Schutz der Bevölkerung vor hochansteckenden Infektionskrankheiten) verfolgt werde und der Eingriff „geeignet, erforderlich und angemessen ist. Ob ein Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der zu impfenden Menschen unter Inkaufnahme möglicher Impfschäden zugunsten des Schutzes von Gesundheit und des Lebens anderer Menschen angemessen erscheint, lässt sich pauschal nicht beantworten“, so das Gutachten.
In der Tat gibt es in Deutschland derzeit keinen zugelassenen Einfach-Impfstoff gegen Masern. Wir werden uns im parlamentarischen Verfahren damit auseinandersetzen müssen, was das für die beabsichtigte Masern-Impfpflicht bedeutet. Impfstoffe werden wie alle anderen Arzneimittel in Deutschland durch den jeweiligen Hersteller und nicht etwa den Bundesgesundheitsminister in den Verkehr gebracht. Es kommt also darauf an, ob und wann ein Hersteller die Zulassung für einen Einfach-Impfstoff gegen Masern bei der zuständigen Arzneimittelbehörde beantragt und erhält.
Die verfügbaren Kombinationsimpfstoffe sind wirksam und gut verträglich. Von 10.000 Geimpften entwickeln etwa 500 bis 1.500 allgemeine Beschwerden wie leichtes bis mäßiges Fieber, Kopfschmerzen, Mattigkeit oder Magen-Darm-Beschwerden. Bei etwa 500 Geimpften entwickelt sich an der Einstichstelle in den ersten drei Tagen nach der Impfung eine Rötung oder Schwellung. Etwa 10 Tage nach einer MMR-Impfung bekommen 200 bis 500 von 10.000 Geimpften für wenige Tage einen masernähnlichen Hautausschlag, der auch „Impf-masern“ genannt wird. Dieser kann mit mäßigem Fieber einhergehen. Impfmasern sind nicht ansteckend.
Eine Verpflichtung zur Impfung ist ein Eingriff in die Grundrechte, dass wissen wir auch als Gesetzgeber. Allerdings sieht das Grundgesetz vor, dass in dieses Grundrecht eingegriffen werden darf. Die Anwendung einer Impfpflicht ist nicht nur eine freiwillige Aktion des Staates und liegt auch nicht alleine im politischen Ermessen. Das Bundesverfassungsgericht hat eine sogenannte Schutzpflicht des Staates aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit entwickelt. Bei besonderen Gefahrenlagen – wie zum Beispiel durch lokale Masern-Epidemien – können entweder der Bund oder die Länder verfassungsrechtlich verpflichtet sein, die Impfpflicht durch eine Rechtsverordnung anzuordnen. Dies dient dem Schutz der Allgemeinheit und derer, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Katzmarek, MdB