Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Ursula N. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Winkelmeier-Becker,
meine beiden Töchter studieren und bekommen kein Bafög. D. h. ich bin unterhaltpflichtig bis meine Kinder 27 Jahre alt sind.
Die Tochter einer Freundin von mir ist 19 Jahre alt, hat bis dato noch nicht gearbeitet, hat dies auch zukünftig nicht vor und lehnt jedes Angebot vom Arbeitsamt ab. Sie bekommt eine Wohnung bezahlt und Essensgutscheine, da mittlerweile die Zahlung von Hartz IV eingestellt wurde.
Meine Frage ist, warum die Eltern dieses Kindes nicht unterhaltspflichtig sind bis ihre Tochter 27 ist. Hier springt sofort der Staat, d. h. die Allgemeinheit ein.
Es kann doch nicht angehen, dass in Deutschland das Nichtstun, und in diesem Fall handelt es sich um gewolltes Nichtstun, staatlich belohnt wird mit Unterkunft und Verpflegung.
M. E. besteht in Deutschland mittlerweile ein gewaltige Schieflage, die geradezu einlädt, nichts zu tun (wohlgemerkt gehe ich nicht davon aus, dass alle Hartz IV-Empfänger faul sind und keine Lust auf Arbeit haben), während diejenigen, die mit ihren Sozialabgaben und Steuern den Staat tragen, eine ständige Abwertung ihres Einkommens erleben und immer wieder erfahren müssen, dass sie froh sein sollten, überhaupt Arbeit zu haben.
Ihrer Nachricht sehe ich gerne entgegen.
Vielen Dank und freundliche Grüße
Ursula Nurkowski
Sehr geehrte Frau Nurkowski,
Sie formulieren ein wichtiges Anliegen der Politik, dass wir nicht aus den Augen verlieren dürfen. Wenn wir diejenigen zu sehr belasten, die die Leistungsträger unserer Gesellschaft sind bzw. einmal werden, wird dies als Gerechtigkeitslücke empfunden und etliche Betroffene, vor allem gut ausgebildete junge Leute, ziehen die Konsequenz, ins Ausland zu gehen. Auf der anderen Seite stellen wir fest, dass Forderungen nach immer weiteren staatlichen Transferleistungen, wie sie vor allem die LINKEN immer wieder beantragen, auf große Resonanz stoßen.
Nur zur Information: Die Summe der Geldmittel, die für die bisher von der LINKEN zusätzlich beantragten Leistungen erforderlich wäre, beträgt ca. 120 Mrd €; das entspricht fast der Hälfte des Bundeshaushaltes und würde für jeden Bürger vom Baby bis zum Greis eine durchschnittliche zusätzliche Belastung von 1500 € pro Jahr darstellen. Hier das richtige Maß von "Fördern und Fordern" einerseits und Unterstützung der wirklich hilfebedürftigen Menschen andererseits zu finden, ist keine leichte Aufgabe; berechtigte Ansprüche auf staatliche Unterstützung und Leistungen der Sozialkassen müssen ständig gegen Belastungen der Steuer- und Beitragszahler abgewogen werden, die von ihrem eigenen Einkommen leben und die Leistungen an andere finanzieren. Gerade bei Familien gibt es hier große Unterschiede, wie Sie es ja auch beispielhaft beschreiben.
Die unterschiedliche Behandlung der beiden von Ihnen beschriebenen Fälle beruht nun auf unterschiedlichen Grundsätzen. Unterhalt nach den Regeln des BGB schulden Eltern ihren volljährigen Kindern grundsätzlich nur dann und so lange, wie sich diese in einer ersten Berufsausbildung befinden und diese ernsthaft betreiben. Wenn Kinder studieren, kann dies durchaus bis zum 27. Lebensjahr dauern. Deshalb sind Sie ihren Kindern unterhaltspflichtig. Ich würde an dieser Stelle eine zeitliche Befristung der Unterhaltspflicht im Einklang mit der Befristung des Kindergeldes befürworten, d.h. spätestens zum 25. Geburtstag des Kindes. Den studierenden Kindern müsste dann BAföG unter den dort geregelten Voraussetzungen zustehen.
Mir erscheint es widersprüchlich, dass Eltern eines arbeits- und einkommenslosen jungen Erwachsenen nach 25 Jahren unter keinem Gesichtpunkt mehr in Anspruch genommen werden können, während Eltern von Studenten weiter in vollem Umfang den Unterhalt sicherstellen müssen; dies habe ich anlässlich der Befristung des Kindergeldanspruchs bis zum 25. Geburtstag des Kindes auch in meiner Fraktion so dargelegt. Die Unterhaltspflicht der Eltern endet u.a., wenn eine Berufsausbildung nicht aufgenommen oder nicht betrieben wird. Das volljährige Kind hat dann keinen Anspruch gegen die Eltern, sondern ist für sich selbst verantwortlich. Logische Folge ist, dass bei Leistungen des Staates auch kein - nicht existenter - Anspruch gegen die Eltern "übergehen" kann. Inwieweit der Staat unter Beachtung des Sozialstaatsprinzips und der Menschenwürde eintritt, ist eine andere Frage.
Die Maßstäbe für staatliche Unterstützung für Menschen ohne bzw. mit nur unzureichendem Einkommen sind in verschiedenen Büchern des SGB geregelt. Für arbeitsfähige Menschen regelt das SBG II die Voraussetzungen nach den Grundsätzen des "Forderns und Förderns". Danach wird von dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ein gutes Maß an Mitwirkung gefordert, dass in einer Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II niedergelegt wird. Das Maß der Unterstützung richtet sich u.a. nach dem vorhandenen Vermögen; dabei wird Vermögen der Eltern nur angerechnet, wenn ein hilfebedürftiger junger Mensch bis 25 Jahre in Bedarfsgemeinschaft mit den Eltern lebt.
Der staatlich finanzierte Auszug aus dem elterlichen Haus ist allerdings durch die zum 1.8.2006 neu geregelten §§ 20 Abs. 2a und 22 Abs. 2 a SGB II deutlich erschwert und nur unter engen Bedingungen mit vorheriger Zustimmung des kommunalen Trägers der Kosten der Unterkunft möglich. Das Maß der Unterstützung richtet sich nach den §§ 19ff SGB II. Wird die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegt Mitwirkung des Hilfebedürftigen nicht erbracht, so gibt es massive Sanktionen, durch die die Regelleistungen eingeschränkt werden. Schlägt der Hilfebedürftige z.B. eine angebotene zumutbare Arbeit oder Ausbildung aus, so werden die Leistungen reduziert, bei wiederholter Pflichtverletzung dieser Art kann sie letztlich "um 100 vom Hundert gemindert" werden, § 31 Abs. 3 SBG II. Inwieweit die Anwendung dieser Vorschriften bei der Tochter Ihrer Bekannten zutreffen, kann ich natürlich nicht beurteilen; die Regelung als solche halte ich allerdings für schlüssig.
Ich kann nachvollziehen, dass Sie sich mit zwei studierenden Töchtern, die Sie voll unterhalten müssen, im Vergleich zu einer Freundin, die keinen Unterhalt für ihre 19jährige Tochter leistet, benachteiligt fühlen. Ihrer Situation vergleichbare Fälle sind mir vielfach auch aus meinem persönlichen Umfeld bekannt; schon deshalb werde ich die Interessenlage solcher Familien nicht aus dem Auge verlieren. Eltern wie Sie können aber auch stolz sein auf ihre Kinder, die zielstrebig an ihrer Ausbildung arbeiten und offenbar in der Lage sind, künftig als Leistungsträger Verantwortung für sich und unsere Gesellschaft zu übernehmen. Ich bin überzeugt, dass Ihre Freundin gerne mit Ihnen tauschen würde.
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Winkelmeier-Becker