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Detlef Müller
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Frage von Nick L. •

Frage an Detlef Müller von Nick L. bezüglich Recht

nach den Ereignissen der letzten Tage geht es vielen Menschen in Chemnitz schlecht.
Es herrscht ein Gefühl der Machtlosigkeit und Fassungslosigkeit nach den Rechten Aufmärschen in Chemnitz. Inbesondere Menschen, die äußerlich auf den ersten Blick nicht deutscher Herkunft wirken, sind in meinem Umfeld die letzten Tage zuhause geblieben. Sie haben Angst, auf die Straße zu gehen.
Eltern lassen ihre Kinder nicht mehr in die Schule, weil sie Angst haben, sie kommen nicht wieder.
Freunde von mir werden in der Öffentlichkeit bespuckt und missshandelt.

Wie geht es weiter? Wird die Polizeipräsenz in Chemnitz verstärkt?
Wird es Gefahrengebiete aufgrund der Menge der rechten, Gewaltbereiten Demonstranten geben?
Wird Chemnitz seine Bemühungen verstärken, rechte Organisationen zu zerschlagen?

Was tun sie, damit sich die normalen, nicht rassistischen und nicht Fremdenfeindlichen Bürger dieser Stadt wieder sicher fühlen können?
Wird es verstärkte Programme zur Aufklärung geben?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr L.,

haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht. Ich merke, Sie sind über die Ereignisse der letzten Tage ebenso entsetzt wie ich.

Lassen Sie mich bitte zunächst ein paar persönliche Worte dazu sagen. Das Maß an Wut, Entsetzen und Trauer, das ich angesichts der Geschehnisse von Sonntag und Montag empfinde, ist für mich nur schwer in Worte zu fassen. Ich bin seit 1994 Stadtrat in Chemnitz, dort 1999-2005 und ab 2014 Vorsitzender der SPD-Fraktion, weiterhin Mitglied des Deutschen Bundestages 2005-2009 und seit Dezember 2014. Tag für Tag arbeite ich für mein Chemnitz, versuche dazu beizutragen, dass mein, unser Chemnitz schöner, besser und lebenswerter wird. Diese wenigen Stunden, als der rechte Mob durch die Straßen zog und seine widerlichen Parolen grölte, Menschen jagte, haben so unendlich viel kaputt gemacht. Chemnitz wird sehr lange brauchen, um sich davon zu erholen. Um das zu verdeutlich: In den letzten Monaten haben wir als Stadträte mit der Stadtverwaltung und der Bürgerschaft angefangen, über die Bewerbung Chemnitz' zur Europäischen Kulturhauptstadt zu diskutieren, erste Konzepte stehen schon. Sie können sich sicher denken, wie resigniert ich nunmehr diese Bemühungen betrachte, nach dem Bild, das Chemnitz in den vergangenen Tagen der Welt gezeigt hat. Und ja, Zeitungen auf der ganzen Welt haben die Geschehnisse kommentiert.

Nun aber zu Ihren Fragen: Da Polizei und Bildung grundsätzlich Ländersache sind, sind meine Einwirkungsmöglichkeiten als Stadtrat und Bundestagsabgeordneter gewissermaßen von unten wie von oben eingeschränkt. Jetzt aber das große Aber: Es darf einfach nicht sein, wie Sie es beschreiben, dass man in Chemnitz Angst haben muss auf die Straße zu gehen, als Ausländer oder als Deutscher. Wenn Ausländerinnen und Ausländer, oder Menschen, die nicht "deutsch" aussehen, in Chemnitz Angst haben müssen, haben wir als Stadtgesellschaft und als Menschen versagt. Durchgehend wird man die Polizeipräsenz in Chemnitz nicht verstärken können, dafür ist die sächsische Polizei seit Jahren zu schlecht aufgestellt (herzlichen Dank, ehemalige schwarz-gelbe Staatsregierung...). Es geht aber eigentlich darum, mit geeigneten Polizeikräften akut auf Situationen wie die von Sonntag und Montag zu reagieren. Und hier hat die Einschätzung der Polizei komplett versagt. Gegebenenfalls muss die Polizei eben Verstärkung von außerhalb anfordern, Kräfte aus anderen Bundesländern oder Kontingente der Bundespolizei. Das geht alles. Dafür aber muss die Staatsregierung in Gestalt des CDU-geführten Innenministeriums endlich bekennen, dass es in Sachsen ein echtes Problem mit rechten Strukturen gibt. Davor aber hat man sich jahrzehntelang gedrückt („Die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus.“, Sie erinnern sich...).
Chemnitz als Stadt kann rechte Organisationen nicht "zerschlagen", wie Sie es formulieren. Dafür ist der Freistaat mit Polizei und Verfassungsschutz zuständig. Dabei gilt aber dann eben wieder das Vorgesagte.
Ich hatte es schon in meinen Äußerungen nach den vorgestrigen und gestrigen Vorfällen öffentlich gesagt: Ich setze mich dafür ein, dass wir die Zivilgesellschaft stärken, und zwar in erster Linie durch Maßnahmen der Bildung. Wir brauchen mehr und bessere Aufklärung und Demokratiebildung, so früh wie möglich, eine Änderung der Lehrpläne, mehr Raum dafür im Schulunterricht. Wir müssen früh anfangen, Kinder und Jugendliche zu guten, toleranten, freiheitlich denkenden Demokratinnen und Demokraten zu erziehen, die stolz auf Demokratie, Republik und Rechtsstaat sind.
Aber Sie werden mich ganz sicher auch immer dort finden, wo es gilt, gegen Extremisten Flagge zu zeigen.

Mit freundlichen Grüßen

Detlef Müller, MdB (Chemnitz)

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