Frage an Detlef Müller von Holger L. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Müller,
am letzten Freitag, 27.02.2015, fand eine Abstimmung im Bundestag über die Fortführung der Griechenland-Hilfen durch die Bundesrepublik statt.
Als Wahlkreisangehöriger bitte ich Sie, Ihr Abstimmungsverhalten zu diesem Thema zu veröffentlichen und nachvollziehbar zu begründen.
Mit bestem Dank und
freundlichen Grüßen
Holger Lorenz
Sehr geehrter Herr Lorenz,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Gerne möchte ich die Gründe für mein Abstimmungsverhalten offenlegen, schließlich wird die Debatte über die Finanzhilfen für Griechenland kontrovers und bisweilen hitzig geführt:
Zunächst: Die Verlängerung des zweiten wirtschaftlichen Anpassungsprogramms bedeutet erst einmal nicht, dass sofort weiteres Geld fließt. Es fließen erst dann wieder Hilfsgelder nach Griechenland, wenn die letzte Überprüfung des verlängerten Programms erfolgreich abgeschlossen ist. Das gilt sowohl für die letzte noch ausstehende EFSF-Kredittranche von 1,8 Mrd. Euro als auch für die Überweisung der Gewinne, welche die nationalen Zentralbanken des Eurosystems mit griechischen Staatsanleihen machen („SMP-Gewinne“). Aus dem Gewinn der Bundesbank flossen über den Bundeshaushalt 2013 dadurch 599 Mio. Euro nach Griechenland, aus 2014 stehen noch 532 Mio. Euro zur Verfügung, für 2015 sind 412 Mio. Euro vorgesehen.
Um es plastisch auszudrücken: Es geht hier nicht darum, "undankbaren Griechen deutsche Steuergelder hinterherzuwerfen". Die Griechen haben eine neue Regierung gewählt, die vor allem versprochen hat, das soziale und wirtschaftliche Leid zu lindern, das unbestreitbar in weiten Teilen der griechischen Gesellschaft durch die Finanzkrise herrscht. Das ist legitim, entschuldigt aber nicht den Ton, den die neue griechische Regierung bisweilen gegenüber den hilfswilligen europäischen Regierungen angeschlagen hat, worüber nicht nur die deutschen Vertreter höchst irritiert waren. Es geht jetzt darum, der neuen griechischen Regierung die Chance einzuräumen, das Reformwerk weiterzuführen. Aus meiner Sicht haben die Verhandlungen der vergangenen Wochen gezeigt, dass der "europäische Weg", immer zuerst auf Verhandlungen zu setzen, der richtige Weg ist, denn die griechische Regierung ist von ihren radikalen Forderungen und Vorstellungen aus dem Wahlkampf abgerückt und hat sich auf eine vernünftige Verhandlungsbasis gegeben, allem Theaterdonner zum Trotz.
Im Kern habe ich der Fristverlängerung zugestimmt, weil ich davon überzeugt bin, dass eine Zurückweisung neuer Hilfen ein zu großes Risiko für Deutschland und Europa bedeuten würde: Die Beispiele Irland und Portugal zeigen plastisch, dass Staaten sich von den Folgen der Finanzkrise erholen können. Sollte Griechenland aber wegen mangelnder Finanzhilfen aus dem Euro ausscheiden müssen, wären die Folgen verheerend:
Das Vertrauen in die Euro-Währung würde weltweit drastisch sinken, was wiederum wirtschaftliche Nachteile nach sich ziehen würde. Außerdem sind die europäischen Staaten wirtschaftlich miteinander eng verwoben: Die Gläubiger Griechenlands müssten einen Teil ihrer Forderungen abschreiben. Ein Großteil der griechischen Schulden liegt bei wenigen, meist öffentlichen Gläubigern. Zuallererst sind das die Europäische Zentralbank (EZB) und eben auch andere EU-Staaten, aber auch z.B. deutsche und französische Banken. Die französischen Banken sehen sich einem besonders hohen Risiko gegenüber. Sie haben nämlich über griechische Tochterfirmen hohe Kredite an dortige Verbraucher und Unternehmen vergeben, ein Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft träfe sie hart. Ich brauche Ihnen sicher nicht zu erklären, dass Deutschland auch betroffen wäre, wenn die französische Wirtschaft über einen Domino-Effekt ins Wanken käme.
Sie sehen, die Materie ist hochkomplex, und ich habe die Problematik in dieser Nachricht schon stark vereinfacht dargestellt. Einfach zu sagen, „die Griechen sind schuld! Wir behalten unser Geld!“ ist leider zu einfach. Und glauben Sie mir, kein deutscher Parlamentarier macht sich die Entscheidung einfach, denn am Ende des Tages muss jeder Abgeordnete des Deutschen Bundestages wieder zurück in seinen Wahlkreis fahren und seine Entscheidung rechtfertigen – auch ich in Chemnitz. Und ich lebe in meinem Chemnitz nicht hinter Stacheldraht, sondern lebe mein Leben als Chemnitzer unter meinen Nachbarn, in Vereinen und in meinem beruflichen Umfeld.
Ich hoffe Ihnen hiermit wenigstens etwas geholfen zu haben. Bleiben Sie mit mir im Gespräch.
Mit freundlichen Grüßen
Detlef Müller