Frage an Claudia Tausend von Lonnie L. bezüglich Bundestag
Sind Sie nicht auch der Meinung: Wir können uns in Anbetracht der aktuellen großen Herausforderungen den aufgeblähten Bundestag nicht mehr leisten. Die Grünen & andere kleine Parteien haben sinnvolle Verkleinerungskonzepte herausgearbeitet, die eine effektivere parlamentarische Arbeit zum Ziel haben und nicht primär von Parteiinteressen geleitet sind. Was unternehmen Sie konkret, damit eine Mehrheit für die Verkleinerung erreicht wird?
MhG. L. L.
Sehr geehrter Herr L.,
ich sehe ebenfalls die Gefahr, dass der Deutsche Bundestag in der nächsten Legislaturperiode Probleme haben könnte, seine Aufgaben optimal zu erfüllen. Veränderungen der Parteienlandschaft und die Mechanismen des derzeitigen Wahlsystems könnten dazu führen, dass das Parlament nach der nächsten Bundestagswahl 750 oder 800 Sitze haben könnte. Die Soll-Größe liegt bei 598 Mandaten.
Bereits im März hat die SPD-Bundestagsfraktion einen Vorschlag zur Wahlrechtsreform vorgelegt, der im Gegensatz zum Vorschlag der Oppositionsfraktion zeitlich schnell umsetzbar ist (die Verkleinerung um 50 Wahlkreise würde Zeit in Anspruch nehmen, die wir nicht mehr haben) und im Gegensatz zum Vorschlag der CDU-Fraktion nicht nur einseitig eine Fraktion begünstigt. Unser Modell sieht vor, die Zahl der Abgeordneten nach der Bundestagswahl 2021 auf maximal 690 zu begrenzen. Um die Repräsentanz des Parlaments zu erhalten, soll es weiterhin 299 Wahlkreise geben. Die Regelgröße des Bundestags bleibt demnach bei 598 Abgeordneten. Um den Wählerwillen – also das Verhältnis der Zweitstimmen – nicht zu verzerren, werden Überhangmandate weiterhin durch Ausgleichsmandate kompensiert. Um die Obergrenze von 690 Mandaten einzuhalten, werden aber darüberhinausgehende Überhang- und Ausgleichsmandate nicht mehr zugeteilt. Um den Frauenanteil im Bundestag zu erhöhen, schlägt die SPD-Fraktion außerdem vor, nur Parteien zur Bundestagswahl zuzulassen, deren Landeslisten abwechselnd mit Frauen und Männern besetzt sind. Den Beschluss der SPD-Fraktion vom März 2020 finden Sie hier: https://www.spdfraktion.de/system/files/documents/beschluss-wahlrecht-spd-20200303.pdf
Hier finden Sie zwei Beispielrechnungen, einmal mit dem Wahlergebnis 2017, einmal mit Umfrageergebnissen 2019: https://www.spdfraktion.de/system/files/documents/spd-brueckenmodell-zweibeispielrechnungen.pdf
Diese Regelung sehen wir ausdrücklich als Übergangsregelung für die nächste Bundestagswahl an. Danach sollte sich eine Reformkommission mit Alternativen für eine Reform des personalisierten Verhältniswahlrechts auseinandersetzt und Empfehlungen zur Modernisierung der Parlaments- und Wahlkreisarbeit, zur Dauer der Legislaturperiode und zur gleichberechtigten Repräsentanz von Frauen und Männern im Bundestag erarbeitet. Diese Reformkommission sollte nicht nur aus Abgeordneten bestehen, sondern auch aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Bürgerinnen und Bürgern.
Während wir aus der Opposition und auch aus Teilen der CDU Interesse an unserem Vorschlag vernommen haben, war es - das muss man so deutlich sagen - ausschließlich die CSU, die diesen und jeden anderen Wahlrechtsreformvorschlag mit Vehemenz abgeblockt hat. Die CSU wollte lange nur eine Lösung akzeptieren, bei der sie keine einziges potentielles Mandat verliert, und das wäre allen anderen Fraktionen - inklusive der Schwesterpartei CDU - nicht vermittelbar gewesen. Durch Druck von außen und innen scheint jetzt in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause langsam etwas Bewegung in die in der Frage zerstrittene Unionsfraktion gekommen zu sein, auch wenn bisher noch kein richtiger Vorschlag der Union vorliegt. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Union ihrer Verantwortung für den immensen Zeitverlust in dieser Frage bewusst ist und dass wir über diesen Sommer eine Lösung finden werden. Wichtig ist, dass es einen Konsens gibt, der breit vom Bundestag getragen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Tausend