Frage an Claudia Tausend von Martin S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
In den letzen Monaten habe ich immer wieder über die geplanten Abkommen CETA, TTIP und TISA gelesen. Die spärlichen Informationen sind für mich so beunruhigend, dass ich Ihnen schreibe, um Ihnen einige Fragen zu stellen. Sollten Sie auch keine weitergehenden Informationen haben, so möchte ich Sie bitten, im Namen der Wähler und Bürger bei der EU-Kommission, Regierungsvertretern und Industrievertretern auf Antworten zu bestehen.
Zunächst einmal möchte ich Sie fragen, was die Vorteile dieser Abkommen sein sollen: wie soll es kleinen und mittelständischen Unternehmen helfen, wenn sie auch noch weitere Konkurrenz aus den USA bekommen? Das leuchtet mir nicht ein, und bisher konnte ich keinerlei weitere Erklärungen oder Studien finden, die einen solchen Effekt begründen. Dadurch könnten doch eher Arbeitsplätze wegfallen? Welche Aspekte der oben genannten Abkommen sollten sich positiv auf kleine und mittelständische Unternehmen auswirken?
Nach welchem Recht soll vor den geplanten „Schiedsstellen“ entschieden werden? Was fehlt an dem bestehenden Rechtssystem, weshalb die Bundesrepublik Deutschland private, nicht-öffentliche Schiedsstellen ohne Berufungsmöglichkeiten brauchen sollten? Wie passen Schiedsstellen in das System der Gewaltenteilung? Mit welcher Begründung erhalten Konzerne einseitig die Möglichkeit, Staaten zu verklagen, ohne Berufungsmöglichkeit und ohne Möglichkeit von Gegenklagen? Warum sollte die Öffentliche Hand Steuergelder für hypothetische „entgangene Gewinne“ an ausländische private Unternehmen bezahlen, ohne dafür Gegenleistungen zu erhalten? Wie können Sie es verantworten, dass das deutsche Parlament dadurch sein Budgetrecht teilweise verliert? Sollte man nicht angesichts solcher Risiken auf ein prognostiziertes Wirtschaftswachstum von jährlich 0,05% laut einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studie, die von EU-Handelskommissar Karel De Gucht bestätigt wurde, verzichten?
Mit freundlichem Gruß,
M. Schnell
Sehr geehrter Herr Schnell,
die Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen befinden sich immer noch in einem relativ frühen Stadium. Prognosen über ein mögliches Wirtschaftswachstum durch TTIP halte ich deshalb für unseriös – da wir das Ergebnis der Verhandlungen noch nicht vorliegen haben, können wir auch noch nicht quantifizieren, wie viel uns als deutsche und europäische Bürger dieses Abkommen tatsächlich bringt.
Allgemein kann man aber sagen: Bei TTIP geht es um den Abbau von Zollschranken und sonstigen Handelshemmnissen. Dabei geht es meist um unnötige Bürokratie, die zu doppelten Verfahren, Tests und Produktzulassungen auf beiden Seiten des Atlantiks führt. Große multilaterale Konzerne können sich diese doppelten Verfahren schon jetzt ohne Probleme leisten – für kleine und mittlere Unternehmen stellen sie derzeit eine hohe Hürde für den Markteintritt in die USA dar. Gerade für diese Unternehmen könnte TTIP deshalb Chancen bieten. Die von Ihnen zitierten Investor-Staats-Schiedsgerichte sind bei einem Abkommen zwischen zwei so hoch entwickelten Rechtssystemen wie der EU und den USA unnötig. Eine Einschränkung der politischen Gestaltungsmöglichkeit durch Anfechtungsmöglichkeiten in einem Investitionsschutzkapitel wird es mit mir und der SPD-Bundestagsfraktion nicht geben.
Die deutsche Wirtschaft ist sehr exportorientiert, unser Wohlstand und unsere Arbeitsplätze hängen in einem im internationalen Vergleich hohen Maße vom Ausland ab. Sich Verhandlungen über ein Handelsabkommen komplett zu verweigern, halte ich daher für den falschen Schritt – wir würden damit die Möglichkeit der politischen Gestaltung aufgeben. Ein Freihandelsabkommen darf aber auch nicht um jeden Preis geschlossen werden. Bundeswirtschaftsminister und SPD-Parteivorsitzender Sigmar Gabriel hat vor kurzem vier klare Bedingungen formuliert, die ich gerne zitiere:
"1. Keine Verschlechterung unserer Standards, weder im Bereich Verbraucher-, Umwelt- oder Datenschutz, noch bei Arbeitnehmerrechten und Mitbestimmung. Wir müssen im Gegenteil dafür sorgen, dass unsere hohen Standards auch in anderen Teilen der Welt gelten. Nur so kann die Globalisierung gerechter werden.
2. Das bewährte System unserer Daseinsversorge darf nicht angetastet werden. Selbstverständlich muss es auch weiterhin kommunale Krankenhäuser, Wasserwerke und Stadtwerke geben.
3. Keine Abschaffung der Subventionen für Theater und Museen, Beibehaltung der Buchpreisbindung, kein Rütteln am öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
4. Es wird kein Freihandelsabkommen geben, bei dem rechtsstaatlich getroffene, demokratisch legitimierte Entscheidungen von Parlamenten, die dem Allgemeinwohl dienen, durch internationale Konzerne vor Schiedsgerichten angegriffen werden können."
Bisher laufen die Verhandlungen zu TTIP, bei der wir unsere Forderungen, Bedenken und roten Linien aktiv einbringen. Deswegen ist es gut, dass ein so komplexes Thema wie ein Freihandelsabkommen so stark in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Falls die Verhandlungen zu einem Erfolg führen, werden das Europäische Parlament, der Bundestag und wohl auch der Bundesrat entscheiden. Wir werden den ausverhandelten Text genau prüfen und unsere Entscheidung vom Gesamtergebnis und der Einhaltung unserer Bedingungen abhängig machen.
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Tausend