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Cem Özdemir
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Frage von Martin F. •

Denkt jemand mal darüber nach (insbesondere in Brüssel) stillgelegte landwirtschaftliche Flächen dieses Jahr zum Anbau von Getreide umzuwidmen?

Oder verschläft man die große Chance so früh im Jahr die Gelegenheit zu nutzen den Ausfall aus Russland und der Ukraine zu kompensieren? Zumindest teilweise! Das Jahr beginnt erst und die Bauern könnten aussäen ggf. mit Subventionen!
Flächen gibt es!
M. F.

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Sehr geehrter Herr F.

die Europäische Kommission hat in der vergangenen Woche entschieden, dass die in der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik vorgesehene Konditionalitätsregelung (Fruchtwechsel) im Jahr 2023 einmalig ausgesetzt und auf den Bracheflächen (Flächenstilllegung) eine Produktion (außer Mais, Soja und Kurzumtriebsplantagen) ermöglicht werden kann. Zugleich hat die Kommission auf die überragende Bedeutung des Schutzes der Biodiversität und der Bodenqualität hingewiesen. Laut Kommission sollen die Mitgliedstaaten, die von den Ausnahmeregelungen Gebrauch machen, im Gegenzug stärker Ökoregelungen und Umweltmaßnahmen fördern. Zudem hat die Kommission betont, dass ein nachhaltiges Landwirtschafts- und Ernährungssystem von grundlegender Bedeutung für die globale Ernährungssicherheit ist. Ich habe mich in Brüssel für eine einmalige Aussetzung der künftigen Fruchtwechsel-Regelung ausgesprochen, damit im Anbaujahr 2022/23 noch einmal Weizen auf Weizen auf derselben Fläche angebaut werden kann. Nach wissenschaftlichen Berechnungen könnten damit allein in Deutschland bis zu 3,4 Millionen Tonnen mehr Weizen angebaut werden. Zur Ehrlichkeit gehört, dass dies zulasten von Bodenqualität und Pflanzengesundheit geht - aber in der Abwägung verkraftbar ist. Im Vergleich dazu würde die Aussetzung der sogenannten Vier-Prozent-Flächenstilllegung – nach der Landwirt*innen gegen Ausgleichszahlung einen Teil ihrer Ackerflächen stilllegen – in der gesamten Europäischen Union nur ein Potenzial von bis zu 5,3 Millionen Tonnen mehr Weizen bringen. Wissenschaftliche Expert*innen befürchten bei einer Aussetzung mit weitreichende Folgen für die Biodiversität, die es genau abzuwägen gilt.

Wir leben in einer Zeit der multiplen Krisen, die wir nur gemeinsam meistern können. Die Sicherung der Ernährung für die Weltbevölkerung wird dauerhaft nur gelingen, wenn wir Klimakrise und Biodiversitätsverlust endlich mit der notwendigen Entschiedenheit bekämpfen. Mein Ministerium wird die Entscheidung der Kommission und die Rahmenbedingungen für die nationale Umsetzung nun prüfen und mit den Ressorts, Ländern sowie den Stakeholdern diskutieren. Wir werden pragmatische Entscheidungen treffen und sie vorher genau auf Nutzen und Kosten abklopfen. Wie die Kommission unterstreicht, sind Nachhaltigkeit und Ernährungssicherheit zwei Seiten einer Medaille, ein Gegeneinander-Ausspielen wird es mit mir nicht geben. Das folgende Jahr müssen wir dazu nutzen, um intensiv über eine effizientere Verwendung der heimischen Ernten zu diskutieren wie zum Beispiel die Reduzierung der Anbauflächen für Tierfutter, den Kampf gegen Lebensmittelverschwendung oder die Agrarkraftstoffproduktion. Ich erwarte von der Kommission, dass sie auch dafür endlich tragfähige Vorschläge vorlegt und ihren Blick über die Produktion hinaus weitet.

Mit freundlichen Grüßen

Cem Özdemir

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