Ein großer Teil der demokratischen Gesellschaft versucht seit über einem Jahr, die Politik zu überzeugen, ein AfD-Verbotsverfahren anzustrengen - warum weigert sich die Politik noch immer?
Die AfD zeigt ihr wahres Gesicht – die Forderung nach Remigration hat es nun sogar ins Wahlprogramm geschafft (https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/afd-parteitag-324.html). Phrasen, die AfD müsse man inhaltlich stellen oder sie ließe sich gar von Herrn Merz halbieren, sind Phrasen geblieben.
Im Sinne unserer wehrhaften Demokratie hat die Gesellschaft ihren Beitrag geleistet: Die Menschen haben in einer der bundesweit größten Petitionen gefordert, einen Verbotsantrag zu stellen (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/afd-verbot-unterschriften-100.html). Vor einem Jahr haben allein an drei Wochenenden fast 2 Mio. Menschen gegen rechts demonstriert (https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/demonstrationen-gegen-rechtsextremismus-102.html).
Demokratische Politiker haben dieses Engagement begrüßt – ihren Part aber nie erfüllt. Aus Bürgersicht fühlt sich das zunehmend wie unterlassene Hilfeleistung an. Wie können Sie das in unserer heutigen Welt noch rechtfertigen?

Sehr geehrte Frau Y.,
herzlichen Dank für Ihre Frage zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren. Ich kann Ihre Bedenken gut nachvollziehen und nehme sie sehr ernst.
Wie der Parteitag der AfD am vergangenen Wochenende zeigt, haben sich Wahlprogramm und Rhetorik der Partei nochmals verschärft. Und auch die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen vergangenen September betrachten meine Partei und ich nach wie vor mit Sorge. Die AfD erreichte in beiden Bundesländern über 30 Prozent und wurde in Thüringen sogar stärkste Kraft. Dies kann wahrhaftig kein Grund zur Freude sein. Auch die chaotischen Szenen in der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtages Ende September 2024 sind in der Tat beunruhigend.
Die Ergebnisse zeigen, dass wir als demokratische Parteien es nach wie vor nicht geschafft haben, das Vertrauen eines erheblichen Teils der Wählerschaft mit unserer Themensetzung und unseren Lösungsansätzen zurückzugewinnen. Seien Sie versichert, dass wir hieran weiterhin mit Hochdruck arbeiten, um bei der Bundestagswahl im Februar mehr Menschen mit unseren Inhalten zu überzeugen und verloren gegangenes Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen. Wir müssen endlich die drängenden Fragen und Probleme angehen, die viele Bürgerinnen und Bürger seit langer Zeit beschäftigen.
Ich halte sowohl die inhaltliche sowie personelle Ausrichtung der AfD als auch deren steigende Zustimmungswerte nach wie vor für beunruhigend und verurteile sie aufs Schärfste. Ich teile daher Ihre Ansicht. Auch ich wünsche mir, dass die AfD in Zukunft in der Politik keine Rolle mehr spielt. Allerdings halte ich ein Verbotsverfahren gegen die AfD zum jetzigen Zeitpunkt nach wie vor nicht für zielführend, gerade auch im Hinblick auf die Bundestagswahlen im Februar. Lassen Sie mich diese Einschätzung begründen:
Es gibt aus guten Gründen sehr hohe rechtliche Hürden für ein Parteiverbot. Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes regelt, dass Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten der Anhänger darauf gerichtet sind, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, verfassungswidrig sind. Auch wenn ich selbst davon überzeugt bin, dass wir Nachweise für die Verfassungswidrigkeit der Partei haben könnten - so scheiterte bereits ein Verbot der NPD im Jahr 2017 vor dem Bundesverfassungsgericht eben aufgrund der hohen rechtlichen Hürden. Dieses Verbotsverfahren würde auch im vorliegenden wohl mindestens mehrere Jahre dauern. Das hieße, dass die AfD in jedem Fall bei den anstehenden Bundestagswahlen im Februar teilnehmen und sich als „Märtyrer“ darstellen könnte. Es gibt der Partei die Möglichkeit, im Vorfeld der Wahlen zusätzliche Aufmerksamkeit zu generieren und sich als Opfer einer Kampagne der sogenannten „Altparteien“ zu stilisieren (und dadurch potenziell noch mehr Zustimmung aus Teilen der Bevölkerung zu erhalten). Dies halte ich gerade vor der anstehenden Bundestagswahl für sehr riskant.
Darüber hinaus habe ich erhebliche Bedenken, was passiert, sollte genau dieser Verbotsantrag (nach den Wahlen) scheitern. Die Partei wird – so meine Befürchtung – es so darstellen, als hätte sie ein verfassungsgerichtliches „Gütesiegel“ erhalten, was ich ebenfalls für ein nicht tragbares Risiko halte.
Nicht zuletzt gibt es für mich ein weiteres Argument, welches zum jetzigen Zeitpunkt gegen den gruppenübergreifenden Verbotsantrag im Bundestag spricht: Den Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht können sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat und die Bundesregierung stellen. Dass es bisher „nur“ einen Antrag einer dieser drei möglichen Antragsteller gab, spricht für mich dafür, dass noch nicht alle demokratischen Kräfte unseres Gemeinweisens von der Notwendigkeit und den Erfolgsaussichten eines AfD-Verbotsverfahrens überzeugt sind. Das ist vor allem auch deswegen wichtig, weil nur die Bundesländer mit ihren Verfassungs- und Staatsschutzbehörden sowie die Bundesregierung die für ein Verbotsverfahren notwendigen Daten und Fakten sammeln und bewerten können.
Darüber hinaus gibt es einen weiteren Antrag einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten, der zu einem schrittweisen Vorgehen rät: Bevor der Bundestag ein Verbotsverfahren gegen die AfD beschließe, müssten dessen Erfolgsaussichten sorgfältig geprüft werden, um ein mögliches Scheitern und die damit verbundenen Risiken, welche ich oben ausgeführt habe, zu vermeiden. In besagtem Antrag wird die Bundesregierung daher aufgefordert, zunächst alle zur Verfügung stehenden "Beweismaterialien" für eine mögliche Verfassungswidrigkeit der AfD zu sammeln und dem Bundestag sowie verschiedenen Gutachtern zur Prüfung zur Verfügung zu stellen.
Die eigentlichen Probleme - rechtsextremes Gedankengut in Teilen der AfD sowie eine tiefgreifende Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung, die diese in die Arme der AfD treibt - bleiben dagegen mit oder ohne Parteiverbot bestehen. Daher gilt: Alle demokratischen Kräfte müssen die sachlich-fachlichen Probleme der Menschen in den Fokus rücken und Lösungsvorschläge erarbeiten (und in die Tat umsetzen). Für uns als CDU/CSU-Fraktion heißt das, dass wir als größte Oppositionspartei in den letzten Jahren konstruktive Vorschläge und Ideen eingebracht haben, z.B. auch durch unser neues Grundsatzprogramm, und die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD suchen, statt sie zu ignorieren. Dies werden wir auch im Vorfeld der Bundestagswahlen im Februar weiterhin tun und versuchen, mit unseren Inhalten und Lösungsansätzen möglichst viele Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen.
Freundliche Grüße
Catarina dos Santos-Wintz