Warum wurde § 6 II Nr. 1 des Reisesicherungsgesetzes gegenüber der Erstfassung verändert?
Sehr geehrter Hr. Müller,
Beim studieren des Reisesicherungsgesetzes ist mir aufgefallen, dass der § 6 II Nr. 1 des ursprünglich eingebrachten Gesetzesentwurfes mit § 651r II Nr. 1 identisch ist aber im verabschiedeten Gesetz nicht mehr dem entspricht. Daher meine Frage, wie es zu dieser Änderung kam und warum Versicherer die keine Kautionsversicherung anbieten durch die Neufassung nicht mehr mit inbegriffen sind?
Sehr geehrter Herr L.,
vielen Dank für Ihre Frage zum Gesetz über die Insolvenzsicherung durch Reisesicherungsfond und zur Änderung reiserechtlicher Vorschriften (RSG).
Wie Sie richtig ausführen, wurde der ursprüngliche Gesetzentwurf in den parlamentarischen Beratungen geändert. In Kraft getreten ist er in der vom Bundestag am 10. Juni geänderten Fassung, die auf der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, Drucksache 19/30515 (https://dserver.bundestag.de/btd/19/305/1930515.pdf) beruhte. Änderungen an den ursprünglich eingebrachten Gesetzentwürfen erfolgen im Verfahren und basieren auf Erkenntnissen der Abgeordneten, die im Zuge der parlamentarischen Beratungen, also nach Anhörungen, Experten-und Berichterstattergesprächen gewonnen werden. Änderungen sind üblich und werden bei nahezu jedem Gesetzentwurf umgesetzt. Die von Ihnen angeführte Änderung zu § 6 Abs. 2 Nr.1 am RSG-Entwurf wird in der Beschlussempfehlung wie folgt begründet: „…in § 6 Absatz 2 Nummer 1 [wird] klargestellt, dass es sich bei den durch Versicherer gestellten Sicherheitsleistungen um Kautionsversicherungen handelt und der Sicherheitsgeber daher zur Ausübung dieses Geschäftszweiges befugt sein muss.“
Auch die im RSG-Entwurf aufgeführten Änderungen am § 651r BGB Absatz 2 wurde in den Beratungen gegenüber der Entwurfsfassung noch einmal geändert und ergänzt. Diese Ergänzungen sind folgend hervorgehoben: "Die Verpflichtungen nach Absatz 1 kann der Reiseveranstalter vorbehaltlich des Satzes 2 ab dem 1. November 2021 nur durch einen Absicherungsvertrag mit einem nach dem Reisesicherungsfondsgesetz zum Geschäftsbetrieb befugten Reisesicherungsfonds erfüllen. Reiseveranstalter, die im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr einen Umsatz im Sinne des § 1 Nummer 2 Buchstabe a des Reisesicherungsfondsgesetzes von weniger als 10 Millionen Euro erzielt haben, können im jeweils darauffolgenden Geschäftsjahr die Verpflichtungen nach Absatz 1 auch erfüllen." Die eingezogenen Grenzen werden konkret wie folgt begründet:
„In § 651r Absatz 2 BGB-E sollen die Anforderungen an die Absicherung der Reiseanbieter ohne Bezugnahme auf eine Rechtsverordnung geregelt werden, um diese Vorschrift und den zeitlichen Beginn ihrer Anwendbarkeit klarer zu fassen. Die Vorschrift wird ergänzt durch die neu vorgeschlagene Übergangsregelung in Artikel 229 § EGBGB, die den Zeitraum bis zur Anwendbarkeit des § 651r BGB-E ab dem 1. November 2021 betrifft. Darüber hinaus wird in Absatz 2 Satz 2 auch das sogenannte „Opt-out“, also die Möglichkeit der Absicherung außerhalb des Reisesicherungsfonds, erweitert. Nach dem bisherigen Entwurf soll diese Möglichkeit nur für Kleinstunternehmen bestehen, die im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr weniger als 3 Millionen Euro Umsatz erzielt haben. Dies[e] [sic!] Umsatzgrenze wird nunmehr auf 10 Millionen Euro erhöht, so dass mehr Unternehmen aus dem kleinen und mittleren Bereich die Wahl bleibt, ob sie sich wie bisher über Versicherer oder Banken absichern wollen. Unverändert bleibt, dass alle kleinen und mittleren Unternehmen sich über den Reisesicherungsfonds absichern können, sofern dies aus wirtschaftlichen Erwägungen oder sonstigen Gründen für sie vorzugswürdig ist. Eine darüber hinausgehende Erhöhung der Umsatzgrenze ist nicht möglich, da dann nach derzeitiger Marktlage die Funktionsfähigkeit des Reisesicherungsfonds gefährdet wäre. Die jetzt gewählte Umsatzgrenze von 10 Millionen Euro stellt nach aktuellen Erkenntnissen einen vernünftigen Ausgleich zwischen den Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen einerseits und der wirtschaftlichen Stabilität des Fonds andererseits her, indem sie die Wahlfreiheit der Reiseanbieter erweitert und zugleich sicherstellt, dass noch genügend umsatzstarke Reiseanbieter verbleiben, um den Fonds möglichst schnell aufzufüllen. Der Marktanteil der Unternehmen, die sich künftig zwingend über den Reisesicherungsfonds absichern müssen, beträgt geschätzt zwar noch 93 Prozent. Allerdings wird dieser Umsatz nur von 3 Prozent aller Unternehmen erwirtschaftet, 97 Prozent der Reiseanbieter werden künftig die Möglichkeit des Opt-out haben. Der Umsatz von 10 Millionen Euro stellt daher jedenfalls nach der derzeitigen Marktlage die äußerste Grenze der Ausnahme von dem grundsätzlich beabsichtigten `Pflichtfonds´ dar. Es wird im Rahmen der ohnehin vorgesehenen Evaluierungen, erstmals spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten der Neuregelung, zu prüfen sein, ob insoweit eine Neubewertung vorgenommen werden kann. Zu Absatz 3 Die gesetzliche Grundlage für die bereits zu Absatz 2 dargestellte Rechtsverordnung, die in der bisherigen Entwurfsfassung in Absatz 3 vorgesehen war, ist nicht mehr erforderlich. Stattdessen soll in Absatz 3, wie es auch der Systematik des § 651r BGB nach derzeitiger Rechtslage entspricht, das Verhältnis zwischen Absicherer und Reisendem geregelt werden. Dabei werden mehrere Änderungen vorgeschlagen, die die Möglichkeit der Begrenzung der Einstandspflicht der Absicherer betreffen. Zunächst soll in Satz 3 klargestellt werden, dass die Möglichkeit der Begrenzung der Leistungspflicht nur für Versicherer und Kreditinstitute gilt, soweit diese aufgrund der Ausnahmeregelung in Absatz 2 Satz 2 als Absicherer von Kleinstunternehmen tätig werden, nicht aber für den Reisesicherungsfonds. Die zulässige Begrenzung der Einstandspflicht soll den Versicherern und Kreditinstituten eine Kalkulation ihres Haftungsrisikos ermöglichen und dadurch dazu beitragen, dass sie Kleinstunternehmen, die sich nicht zwingend über den Reisesicherungsfonds absichern müssen, eine Absicherung anbieten können. Für den Reisesicherungsfonds besteht dieses Erfordernis jedoch nicht, weil er auf die vollständige Deckung des anfallenden Schadens bis zur Grenze seiner tatsächlichen Leistungsfähigkeit ausgelegt ist. Für die Kalkulation der Sicherheitsleistungen und Entgelte ist der Reisesicherungsfonds – anders als Versicherer und Kreditinstitute – nicht auf eine Obergrenze der Leistung in jedem Einzelfall angewiesen, weil er seine finanzielle Ausstattung an dem insgesamt zu erreichenden Zielkapital auszurichten hat. Darüber hinaus soll die Möglichkeit der Versicherer und Kreditinstitute, ihre Leistungspflicht zu begrenzen, noch besser an die tatsächlichen Marktgegebenheiten angepasst werden, um das nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung bestehende Restrisiko einer unzureichenden Absicherung sicher ausschließen zu können. Dabei gilt zunächst, dass die Möglichkeit einer Begrenzung der Leistungspflicht nur für die Fälle eröffnet sein soll, in denen der betroffene Reiseanbieter einen Umsatz von weniger als 3 Millionen Euro erzielt. Für diese Gruppe von Unternehmen liegen genug aussagekräftige Daten vor, um die zu erwartenden Schäden zumindest mit hinreichender Sicherheit einschätzen und den danach angemessenen Höchstbetrag mit einem vertretbaren Restrisiko festlegen zu können. Für die Gruppe der Unternehmen von einem Umsatz von 3 Millionen Euro oder mehr ist dies jedoch nicht der Fall, hier sind die zu erwartenden Schadensbeträge nicht mit hinreichender Sicherheit zu prognostizieren. Ein angemessener Höchstbetrag, der Gewähr für eine richtlinienkonforme Absicherung bietet, kann daher für diese Unternehmen nicht benannt werden. Hinsichtlich der (versicherten) Unternehmen mit einem Umsatz von weniger als 3 Millionen Euro muss die in der ersten Entwurfsfassung vorgesehene Haftungsbegrenzung der Höhe nach geändert werden. Eine Überprüfung der wirtschaftlichen Rahmendaten, die dem Gesetzentwurf zugrunde liegen, durch externe Berater hat ergeben, dass die angenommene Schadenshöhe von 22 Prozent des Umsatzes nur für den Durchschnitt aller Insolvenzfälle zutrifft. Daraus folgt, dass sich die tatsächlichen Insolvenzschäden sowohl unter- als auch oberhalb dieses Prozentsatzes bewegen. Die Versicherer haben dargelegt, dass sich in der maßgeblichen Gruppe von Reiseanbietern bis zu einer Umsatzgröße von 3 Millionen Euro in den Jahren 2018 bis 2020 rund 100 Fälle von Insolvenzen ereignet haben. Dabei sei in keinem Fall ein Schaden von mehr als 1 Million Euro entstanden. Dieser Betrag entspricht ca. 33 Prozent eines Umsatzes von 2,99 Millionen Euro und einem entsprechend höheren Prozentsatz (bis zu 100Prozent) bei geringeren Umsätzen. Damit wird eine deutliche Verbesserung im Vergleich zum Gesetzentwurf der Bundesregierung erzielt. Zudem haben die Versicherer dargelegt, dass eine noch höhere Haftungsbegrenzung ihnen die Absicherung der Kleinstunternehmen außerhalb des Reisesicherungsfonds unmöglich machen würde. Vor diesem Hintergrund wird in Satz 3 die Möglichkeit einer Begrenzung der Einstandspflicht auf 1 Million Euro vorgeschlagen. Es kann allerdings nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden, dass künftig bei der Insolvenz von Reiseanbietern bis zu einer Umsatzgröße von 3 Millionen Euro Schäden entstehen, die 1 Million Euro übersteigen. Dem trägt der Hinweis auf eine mögliche Quotierung in Satz 4 Rechnung. Auch diese Regelung wird im Rahmen der Evaluierung zu überprüfen sein. Dies gilt auch für mögliche Optionen zur weiteren Minimierung des noch verbleibenden Restrisikos eines nicht vollständig abgedeckten Schadens, wie etwa ein von den außerhalb des Fonds abgesicherten Reiseanbietern zu zahlender Ablösebetrag, der von dem Reisesicherungsfonds verwaltet wird (`Fonds im Fonds´).“
Sehr geehrter Herr L., ich hoffe, Ihnen mit dieser Information geholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Carsten Müller