Warum haben Sie am 07.04.2022 gegen die Impfpflicht mit 60 gestimmt?
Sehr geehrter Herr G.,
vielen Dank für Ihre Frage zu meinem Abstimmungsverhalten in Sachen Impfpflicht am 7. April 2022.
Ich stimme Ihnen zu, dass das Thema Impfpflicht von ganz grundsätzlicher und nachhaltiger Bedeutung ist. Ihre Frage ist jedoch nicht korrekt, denn ich habe nicht gegen eine Impfpflicht ab 60 gestimmt. Richtig ist, denn hier kommt es sehr auf die Details an: Ich habe gegen den zur Abstimmung gestellten, aus zwei Gruppenanträgen zusammengeführten Gesetzentwurf zur „Pandemievorsorge durch Aufklärung, verpflichtende Impfberatung und Immunisierung der Bevölkerung gegen Sars-CoV-2“ und für den von der CDU/CSU erarbeiteten Antrag zu einem Impfvorsorgegesetz (https://dserver.bundestag.de/btd/20/009/2000978.pdf) gestimmt. In beiden Initiativen, sowohl dem von mir abgelehnten, zusammengeführten Gesetzentwurf der Gruppen als auch in dem Antrag der Union, war eine Impfpflicht gegen das Coronavirus als eine Maßnahme vorgesehen.
Den nicht mehrheitsfähigen Gesetzentwurf der Gruppen habe ich abgelehnt. Das lag aber einzig an den schweren handwerklichen Fehler und einem hohen Risiko der Verfassungswidrigkeit der Initiative. Das kopf- und führungslose Agieren der Bundesregierung sowie von SPD, Grünen und FDP führte nicht nur bei mir zur ernsthafter Besorgnis, dass der in der vergangenen Woche konkret zur Abstimmung gestellte Gesetzentwurf zur definiten Anordnung einer Impfpflicht als unverhältnismäßig und nicht verfassungskonform eingestuft worden wäre. Diese Besorgnis beruht darauf, dass die Ampelkoalition einerseits die pandemische Lage von nationaler Tragweite hat auslaufen lassen, alle bundeseinheitlichen Regelungen des Infektionsschutzgesetzes außer Kraft setzte, die Bundesländer und die Kommunen im Stich ließ und angekündigt hat, fast alle Schutzmaßnahmen in diesen Tagen auslaufen zu lassen. Andererseits sollte nun eine Impfpflicht angeordnete werden, die wegen ihres unstrittig tiefen Eingriffs in die Grundrechte das vorherige Ausschöpfen anderer, milderer Einschränkungen zwingend verlangt. Diese Diskrepanz der Handlungen der Ampelkoalition passt einfach nicht zusammen und hätte ein Scheitern dieses Gesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht sehr wahrscheinlich gemacht. Das Problem ist, die Ampel agiert nicht geschlossen und überzeugend, sondern leider besonders kopflos. Das gesamte Vorgehen der Ampelkoalitionen ist in der pandemischen Coronalage geprägt von unüberlegten Ankündigungen, Widersprüchlichkeit, Überheblichkeit und ständigen Richtungswechseln. Der Kanzler, der Führung angekündigt hatte, duckt sich weg und der Bundesgesundheitsminister verkündet Maßnahmen oder deren Aussetzung in Talkshows und kassiert sie nach kurzer Zeit dann wieder per Twitter. Das ist keine verantwortungsvolle Regierungsarbeit. Ganz besonders ist dieses Handeln unvereinbar mit der Bedeutung einer Entscheidung um die mögliche Einführung einer Impfpflicht. Die in der parlamentarischen Debatte dann auch noch versuchte Abstimmungstrickserei aus Reihen der Ampelfraktionen zeigt, dass es führenden Köpfen der Ampel selbst bei dieser wichtigen Frage leider zu sehr um Parteipolitik ging.
Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben wir seit Wochen einen passgenauen Vorschlag zu einem Impfvorsorgegesetz vorgelegt. Kern des Gesetzes soll ein Stufenplan sein, der je nach Lage aktiviert oder auch wieder zurückgenommen werden kann. Für diese Entscheidungen bedarf es vor allem einer besseren Datenlage, so dass wir die Einführung eines Impfregisters gefordert haben. Zudem brauchen wir eine Intensivierung der Impfkampagne mit umfänglicher Beratung. Es muss innerhalb von kurzen Zweiwochenabständen regelmäßige Lageberichte an den Deutschen Bundestag geben. Nur dann ist das Parlament in der Lage, die jeweilige pandemische Situation, die Gefährlichkeit zukünftiger Virusvarianten, die Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe und Betroffenheit vulnerabler Personengruppen zu bewerten und einen bis dahin gut vorbereiteten und gestuften Impfmechanismus zu aktivieren und auch ggf. wieder zurückzunehmen. Dieses Stufenmodell soll auch nicht abschließend sein, sondern flexibel an die Lage anpassbar. Das Impfvorsorgegesetz ist in der aktuellen Situation der einzige Vorschlag, der der Situation gerecht wird, eine passgenaue Reaktion auf die künftigen Entwicklungen der Pandemie ermöglicht – bei Bedarf auch die Einführung einer Impfpflicht - und durch dieses gestufte System nicht sehenden Auges vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern würde. Leider haben sich weder die Gruppen noch die Ampelkoalitionen dazu gesprächsbereit gezeigt.
Sehr geehrter Herr G., da ich aber gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion absolut fest davon überzeugt bin, dass wir verantwortlich sind, nicht unvorbereitet und tatenlos in eine möglicherweise verschärfte Coronalage im kommenden Herbst und Winter zu geraten, haben wir den anderen Koalitionen unsere Gesprächsbereitschaft signalisiert. Ich hoffe sehr, dass sich SPD, Grüne und FDP ebenfalls ihrer Verantwortung gewahr werden und wir weiter entschlossen an der Eindämmung der Pandemie arbeiten können.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Informationen geholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Carsten Müller