Frage an Carsten Müller von Dr. Burkhard W. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Müller,
meine Frage zum Thema "Bankenunterstützung durch den Staat" könnte ich im Grunde jeder/jedem Abgeordneten stellen. Ich habe Sie ausgewählt, da Sie von Beruf Bankkaufmann sind und weil Sie wie ich in Braunschweig leben.
Die Frage, die mir auf der Seele liegt, wurde in vortrefflicher Weise in einer Frage von Herrn Alexander von Linden vom 30.09.08 an den BT Abgeordneten Ströbele gestellt, die ich hier zitieren möchte:
"... Ich weiß, dass ich Steuern zahlen muss - für sinnvolle Dinge, aber auch für Mumpitz. Das nehme ich hin. Zähneknirschend. Doch was jüngst in diesem Land passiert, überschreitet die Grenze des Erträglichen. Wenn ein Empfänger von Transferleistungen im Verdacht steht, einige Euro unberechtigt zu kassieren, kommen die Schnüffelbrigaden der Arbeitsagentur mächtig in Schwung. Wenn Banken nach riskanten Spielchen, unter "Aufsicht" vieler deutschen Politiker, die im Aufsichtsrat der betroffenen Banken sitzen, milliardenschwer abstürzen, sind ganz schnell, völlig unbürokratisch, Steuergelder in riesigen Mengen vorhanden."
Meine Frage an Sie als Bankkaufmann: Wie können solche Abstürze geschehen wenn nicht dadurch, dass sich jemand fürchterlich persönlich bereichert hat? Warum funktioniert da kein Kontrollmechanismus (sonst wird in diesem Land doch so vieles kontrolliert)?
Meine Frage an Sie als Abgeordneter des Deutschen Bundestages: ich bin ein contergangeschädigter Bürger, ich unterstütze NICHT die Aktionen Einzelner (wie z.B. den Hungerstreik in Bergisch Gladbach), aber es drängt sich mir die Frage auf: woher nimmt der Staat plötzlich so viele Milliarden für ein von hoch bezahlten Profis verursachtes, hausgemachtes Problem? Währenddessen tut der Staat - sprich die Bundesregierung - sich schwer, beim Thema Contergan, für das sich dieser vor 40 Jahren verantwortlich bekannt hat, massiver einzugreifen.
Gespannt sehe ich Ihrer hochgeschätzten Antwort entgegen.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Burkhard Wiegel
Sehr geehrter Herr Dr. Wiegel,
vielen Dank für Ihre Mail vom 6.10.2008.
Ich begegne der Lebensleistung der contergangeschädigten Menschen mit hoher Anerkennung und größtem Respekt. Sie haben sich in bewundernswerter Weise Ihren Platz in Familie und Beruf erkämpft und Ihre Selbständigkeit mit großem eigenen Engagement und Selbstbewusstsein erstritten. Mir ist durchaus bewusst, dass fast 50 Jahre nach dem Contergan-Skandal viele Geschädigte an ihre Belastungsgrenzen stoßen Um die Folgeschäden abmildern zu können, hat der Deutsche Bundestag – auf Initiative der beiden Geschäftsführenden Vorstände von Unions- und SPD-Bundestagsfraktion – die Entschädigungsleistungen für Contergangeschädigte ab dem 1.7.2008 verdoppelt, das heißt der Höchstsatz von 545 Euro wurde auf 1090 Euro angehoben. Obwohl durch den 1971 zwischen den Eltern der Contergangeschädigten, der Firma Grünenthal und der Bundesregierung geschlossenen Vergleich (Einrichtung einer öffentlich-rechtlichen Stiftung mit Stifterkapital der Firma Grünenthal [100 Mio. DM zuzüglich Zinsen] und des Bundeshaushalts [100 Mio. DM]) jeder weitere Anspruch gegenüber der Firma Grünenthal ausgeschlossen war, waren die Eigentümer bereit, sich an weiteren Verbesserungen für die Situation der contergangeschädigten Menschen zu beteiligen.
Daher wurden gemeinsam von Vertretern der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Vertretern der SPD-Bundestagsfraktion, des Bundesfamilienministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der Firma Grünenthal und Vertretern des Bundesverbands der Contergangeschädigten weitere Fortschritte angestoßen: Die Firma Grünenthal hat sich bereit erklärt, 50 Mio. Euro in einen Fonds einzuzahlen; mit einer Gesetzesänderung will der Bund aus Mitteln der Conterganstiftung die gleiche Summe dazugeben. Aus diesem Geldbetrag wird den contergangeschädigten Menschen ab 2009 jährlich einmal eine Summe zur freien Verfügung ausgezahlt, um Spätfolgen der Schädigung zu mildern. Die Höhe der Einmalzahlung wird sich an der Höhe der Schädigung bemessen.
Darüber hinaus wird der Deutsche Bundestag in einem überfraktionellen Antrag die Bundesregierung auffordern, Forschungsprojekte zu den Spätfolgen der Schädigung zu initiieren. Außerdem arbeitet eine interministerielle Arbeitsgruppe an Vorschlägen zur Verbesserung der Kostenübernahme von Behandlungen bei Conterganschäden durch die Gesetzliche Krankenversicherung. Das Bundesgesundheitsministerium versucht, durch Gespräche mit den verschiedenen Organisationen des Gesundheitswesens sicherzustellen, dass Contergangeschädigte alle Leistungen erhalten, auf die sie Anspruch haben.
Zu Ihrer Befürchtung, dass der Staat würde nur die Verantwortung für Banker und Vorstandsvorsitzende übernehmen möchte ich anmerken: Die Bundesregierung musste aktiv werden, um einen Schaden in nicht absehbarer Größe von der Allgemeinheit abzuwenden. Im Interesse der Sicherung von Arbeitsplätzen, der Stabilisierung des Wachstums und des Schutzes unseres freiheitlichen Wirtschaftssystem musste schnell, entschlossen und international abgestimmt gehandelt werden. Zum Rettungspaket gab es keine sinnvolle Alternative. Nicht zu handeln, wäre letztlich die teuerste Reaktion für die Allgemeinheit gewesen. Der Bund stellt mit dem Stabilisierungsfonds auch nicht einfach Geld zur Verfügung. Bei den 400 Milliarden Euro handelt es sich um Staatsgarantien für Forderungen gegenüber den Banken. Dies ist hauptsächlich eine vertrauensbildende Maßnahme, die den Geldkreislauf unter den Banken wieder in Schwung bringen soll.
Die Hilfen des Bundes wird es allerdings nur geben, wenn die Banken zu ihrer Verantwortung stehen und sich an bestimmte Regeln halten. Das heißt ganz konkret: Auflagen zur Begrenzung von Managergehältern und der Bonuszahlungen, Auflagen hinsichtlich der geschäftspolitischen Ausrichtung des Instituts, Auflagen hinsichtlich der Kreditvergabe, insbesondere an kleine und mittlere Unternehmen, und natürlich Teilhabe des Bundes an den Erträgen der Finanzinstitute.
Sehr geehrter Herr Dr. Wiegel, wir haben die Opfer des Contergan-Skandals nicht vergessen. Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesem Schreiben einige Verunsicherungen nehmen konnte und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Ihr
Carsten Müller MdB