Frage an Carsten Müller von Wolf Stephan K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Carsten Müller,
wie kommt es, dass sich im Umgang mit unschuldig in Not geratenen Menschen ähnliche Härten abzeichnen, wie sie mit "Hartz IV" für Arbeitslose schon etabliert sind?
Diesen in Not geratenen Menschen hat - wie sie wissen (1) - der Staat durch das GG auch einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben zugesichert. Um diesem Anspruch zu genügen dienen die Sozialämter als Anlaufpunkt.
Soweit die Theorie. In der Praxis muß ich miterleben, dass Menschen wie Herr Sarrazin "sollen-sie-doch-kuchen-essen Menues" veranschlagen, die eigentlich jeder Beschreibung spotten. (2)
Diese zweifelhafte Grundhaltung setzt sich leider bis in die unteren Ebenen unserer Bürokratie fort. So verweigert ein Sachbearbeiter die Zahlung gestiegener Nebenkosten (Stichwort Inflation und Energie); der Regelsatz für Sozialgeld liegt bei 350 Euro minus Strom, Telefon also faktisch bei 290 Euro im Monat - von wieviel leben Sie?
Aus unterschiedlichen Quellen kann man erfahren, dass dies zwar unrechtmäßig ist, aber die Staatskasse schont und mittlerweile usus ist. (3)
Meine Frage: Wie können Sie diese Umstände mit Ihrem Gewissen als Demokrat - ich denke, hiervon kann ich ausgehen - der auch dem GG gegenüber verpflichtet ist, vereinbaren und wie kann ich als Demokrat unter diesen Umständen noch guten Gewissens wählen gehen?
Mit freundlichen Grüßen
Wolf Stephan Kappesser, Wähler und Bürger des BTs
(1)
"In der Bundesrepublik Deutschland wird "Soziale Gerechtigkeit" als Ziel des Staates, abgeleitet aus dem Sozialstaatsgedanken des Grundgesetzes, angesehen. Den Bürgerinnen und Bürgern soll dadurch eine existenzsichernde Teilhabe an den materiellen und geistigen Gütern der Gemeinschaft garantiert werden. "
[quelle: http://www.abgeordnetenwatch.de/carsten_mueller-650-5622--f102971.html#frage102971]
(2) http://www.tacheles-sozialhilfe.de/aktuelles/2008/SarrazinsHartzIV-Menue.aspx
(3) http://www.tacheles-sozialhilfe.de/aktuelles/2007/wohnkosten_anne-ames.aspx
Sehr geehrter Herr Kappesser,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Grundsicherung.
Zunächst möchte ich festhalten, dass bei uns alle in materielle Not geratenen Bundesbürger unbesehen des Grundes durch unseren Staat bei der Sicherung des Lebensunterhaltes unterstützt werden.
Meiner Antwort auf die Frage vom 11.03.2008 konnten Sie bereits meine grundsätzliche Haltung zum Thema „Soziale Gerechtigkeit“ entnehmen. Ich möchte anfügen, dass jede Gesellschaft zwischen den beiden angesprochenen Gerechtigkeitsvorstellungen der „Leistungsgerechtigkeit“ und der am Prinzip der Gleichheit ausgerichteten „Verteilungsgerechtigkeit“ ihr Optimum finden muss. Dieses kann nicht nach objektiven Kriterien bestimmt werden, sondern fußt immer auf subjektiven Einschätzungen, die von unterschiedlichen Standpunkten in der Gesellschaft geprägt sind und sich im Zeitablauf wandeln können. Wird eine der beiden Gerechtigkeitsaspekte zu sehr betont, führt dies automatisch zu Benachteiligungen und letztendlich zur Destabilisierung des sozialen Gefüges. Bezüglich der Staatsschulden und des demographischen Wandels kommt heute der Aspekt der Generationengerechtigkeit erschwerend hinzu, welche uns zwingt, den Gegenwartskonsum hinter Schuldenabbau und Zukunftsinvestitionen – vor allem in Bildung – zurückzustellen.
Für die Festlegung der Höhe der Regelsätze für den notwendigen Lebensunterhalt hat man sich auf die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) als Referenzmaßstab geeinigt. Die EVS wird alle fünf Jahre – und auch in diesem Jahr – vom Statistischen Bundesamt erstellt. In den Jahren dazwischen wird der Regelsatz entsprechend der Rentenanpassung angeglichen. Diese Festlegung ist meines Erachtens ein vernünftiger Weg, das oben beschriebene Optimum in Bezug auf die Sicherung des Lebensunterhaltes zu erreichen.
In diesem Sinne sehe ich die Anforderungen des Grundgesetzes im Rahmen unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten derzeit bestmöglich umgesetzt.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Carsten Müller