Liebe Frau Hagedorn, setzt eine Erhöhung der Kapitalertragssteuer die richtigen Impulse für mehr Selbstverantwortlichkeit beim Thema private Vorsorge?
Als jemand der finanziell bei null gestartet ist, und sich über Jahre harter Arbeit (Studium, Doktorarbeit) endlich selbst etwas aufgebaut hat, empfinde ich eine Erhöhung der Kapitalertragssteuer als ungerecht und kontraproduktiv. Warum soll ich mich anstrengen und mit meinem eigenen Gehalt ins Risiko gehen und potentiell den Staat entlasten / unterstützen, wenn mir am Ende eh die Hälfte weggenommen wird?
Die heutigen Möglichkeiten zur privaten Altersvorsorge (zB. ETFs) gab es so vor 20 Jahren noch nicht in der Masse, und sind Versicherungsprodukten grundsätzlich überlegen (daran ändert auch eine Reformation jener nichts, das ist mMn ein objektiver Fakt).
Ich hoffe wirklich, dass hier bei Ihnen ein großes Umdenken stattfindet.
Ein treuer SPD-Wähler

Sehr geehrter Herr R.,
vielen Dank für Ihre Frage zu einer möglichen Erhöhung der Kapitalertragsteuer von aktuell 25 Prozent auf zukünftig bis zu 30 Prozent, die in den Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD diskutiert wird. Allerdings kann ich Ihre Frage nicht nachvollziehen, wenn Sie schreiben: „Warum soll ich mich anstrengen und mit meinem eigenen Gehalt ins Risiko gehen und potentiell den Staat entlasten / unterstützen, wenn mir am Ende eh die Hälfte weggenommen wird?“ Wie genau kommen Sie auf „die Hälfte weggenommen“?
Wie Sie sicherlich in den Medien mitverfolgt haben, ist eine solche mögliche Steuererhöhung aber nur einer von vielen strittigen Steuer-Punkten innerhalb der Koalitionsverhandlungen, die letztlich relevant ist, weil im Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD vom 08. März als Grundlage für diese Verhandlungen folgendes einmütig festgelegt wurde: „Die Grundlage für eine stabile Regierung ist eine solide Finanzierung". Dies gilt als Maxime weiterhin für die laufenden Koalitionsverhandlungen und ist noch nicht erreicht.
Als stellvertretende Vorsitzende des Haushaltsausschusses erinnere ich mich schmerzhaft daran, dass die „Ampelkoalition“ am 6. November 2024 – nur eine Woche vor der Verabschiedung des Bundeshaushaltes 2025 - genau DARAN gescheitert ist, weil der damalige FDP-Finanzminister Lindner sich strikt weigerte, eine (verfassungskonform mögliche!) Erklärung einer „Notlage zur Schuldenbremse“ angesichts der Situation in der Ukraine und der am selben Tag erfolgten Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA mit absehbaren dramatischen Folgen in verteidigungs- und wirtschaftspolitischer Sicht für Deutschland und Europa zu vollziehen und so dem Bundeshaushalt 2025 eine verfassungskonforme Grundlage zu geben. Das Ergebnis waren nicht nur die (absolut vermeidbaren!) vorgezogenen Neuwahlen, sondern auch die Tatsache, dass Deutschland in diesen krisenhaften Zeiten bis zu einem in Kraft getretenen Bundeshaushalt 2025 (vermutlich im Herbst) mit einer „vorläufigen Haushaltsführung“ regiert werden muss. Das allein macht deutlich wie unabdingbar wichtig es für die künftige Bundesregierung sein muss, dass sie in der Lage ist, verfassungskonforme Bundeshaushalte bis einschließlich 2029 aufstellen zu können. Dieses Ziel kann aber nur mit soliden Gegenfinanzierungen von gewünschten Mehrausgaben für u.a. Hilfen für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Sicherung von Arbeitsplätzen erreicht werden.
Fakt ist, dass das Wahlprogramm der CDU/CSU laut einer Studie vom unabhängigen Institut ZEW Mannheim vom 17. Januar 2025 Steuersenkungen von insgesamt 100 Mrd. Euro OHNE jede Gegendeckung versprochen hatte, während die SPD in ihrem Wahlprogramm die steuerliche Entlastung für 95 Prozent aller Steuerpflichtigen einerseits mit einer Steuerhöhung ab einem Einkommen von über 250.000 Euro pro Jahr (!) andererseits zugesagt hatte. Gerade aber bei diesen Höchstverdienern von über 250.000 Euro will die Union sogar die höchsten steuerlichen ENTlastungen erreichen: Kurz gesagt: die SPD will Millionen Menschen entlasten und die CDU/CSU Millionäre.
Diese Diskrepanzen sind in den Koalitionsverhandlungen verständlicherweise nicht leicht aufzulösen. Hinzu kommt, dass die Union (insbesondere die CSU), bereits im „Sondierungspapier“ vom 08. März durchgesetzt hat, dass z.B. die Mütterrente, die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für die Gastronomie und die Wiedereinführung der Agrardiesel-Subvention OHNE jede Gegenfinanzierung vereinbart wurden, was die jährlichen (!) Steuermindereinnahmen bzw. Mehrausgaben um ca. 10 Mrd. Euro erhöhen wird. Deshalb sind von der SPD vorgeschlagene Steuererhöhungen kein „Selbstzweck“, sondern schlicht ein „Werkzeug“, um die Steuermindereinnahmen auszugleichen, die durch das Programm der Union entstehen. In diesem Zusammenhang ist die Erhöhung der Kapitalertragsteuer nur ein möglicher kleiner Baustein, um eine solide Finanzierung des Bundeshaushaltes sicherzustellen. Sie schreiben, Herr R., dass Sie „eine Erhöhung der Kapitalsteuer als ungerecht und kontraproduktiv“ empfänden. Allerdings könnte die Erhöhung der Kapitalertragsteuer aus meiner Sicht im Gegenteil auch ein Beitrag für mehr Gerechtigkeit sein, weil aktuell leider Arbeit höher als Kapital besteuert wird.
Klar ist, dass die künftige Regierung rein finanziell vor mindestens so großen Herausforderungen stehen wird wie die alte: Wie stärken wir unsere Wirtschaft angesichts der geopolitischen Lage und auf dem Weg zur Klimaneutralität und investieren in unsere Sicherheit sowie Infrastruktur, ohne den sozialen Zusammenhalt zu gefährden? Die Union hat sich im Wahlkampf immer „weggeduckt“, wenn es um genau diese Fragen ging. Es gab von ihr bis zum 23. Februar keine verlässliche Antwort darauf, wie man einerseits 100 Mrd. Euro-Steuergeschenke für Spitzenverdiener und Vermögende und andererseits Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben in Milliardenhöhe ZUSÄTZLICH bei Einhaltung der Schuldenbremse im Grundgesetz gleichzeitig finanzieren will – die Grundrechenarten hätten jedem zeigen können: DAS kann überhaupt nicht funktionieren!
Darum war es keineswegs ein „Entgegenkommen“ der Union gegenüber der SPD, als der „alte“ Bundestag noch im März den Beschluss zur Lockerung der Schuldenbremse im Grundgesetz und zur Schaffung eines Sondervermögens von 500 Mrd. Euro für die nächsten 12 Jahre getroffen hat, um den Sanierungsstau bei der Bahn, bei Brücken und Krankenhäusern, in Forschungseinrichtungen, in Schulen sowie im Katastrophen- und Zivilschutz, bei der Infrastruktur für die Energiewende, bei der Digitalisierung und bei der Polizei endlich kraftvoll und langfristig zu beenden. Sondern es war der Ausdruck, dass die CDU/CSU endlich in der finanzpolitischen Realität angekommen war, um überhaupt auf dieser Basis eine Bundesregierung bilden zu können. Das ist zwar gut, denn davon werden alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes profitieren. Aber da diese Milliarden von der neuen Bundesregierung ausschließlich in ZUSÄTZLICHE Investitionen gesteckt werden dürfen, hilft das langfristig bei er Aufstellung von verfassungskonformen Bundeshaushalten ab 2027 praktisch GAR nicht.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meiner Antwort den Kontext zum Vorschlag einer möglichen Erhöhung der Kapitalertragsteuer deutlich machen konnte. Fakt ist: es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, um die Steuern zu erhöhen, denn Ausgabenkürzungen allein werden nicht in der Lage sein, die von der Union gewollten Mehrausgaben und Steuersenkungen solide zu finanzieren. Ob und in welcher Form eine Änderung an der Kapitalertragsteuer tatsächlich vorgenommen wird, entscheidet sich erst in der kommenden Woche mit dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Bettina Hagedorn