Frage an Bettina Hagedorn von Michael S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Hagedorn,
eingangs möchte ich Ihnen gern danken, dass Sie als Demokratin für unser Land in so vielfältiger Weise tätig sind.
Ich schreibe heute in tiefer Besorgnis um die Werte unserer Republik an Sie. Wir sehen in Zeiten der Finanzkrise, jedoch auch in solchen der Integrationsdiskussion eine zunehmende Debatte über die Werte in unserer Demokratie. Sie und ich wissen um die Bedeutung unserer Werte, die wir in Bewusstsein unserer Verantwortung vor Gott und den Menschen vertreten.
Seit längerer Zeit erleben wir eine in die Öffentlichkeit drängende Bevölkerungsgruppe, die dem Glauben an die Lehre des Islam anhängt. Es ist zu begrüßen, dass dieser Schritt endlich vollzogen wird und diese Menschen sich auch mit Art. 4 GG identifizieren sowie seine Anwendung auf ihre Religion erkennen können.
Nur über eine Debatte in der Öffentlichkeit kann nun auch die Lehre, welcher diese Menschen anhängen, offen diskutiert werden.
Gerade hier nehme ich aber eine stark verzerrt geführte Diskussion wahr - sowohl bezüglich der Lehre des Islam wie sie aus Koran und Hadithen hervorgeht, als auch bezüglich der Vertreter des Islam in Deutschland, namentlich der DITIB.
Inwiefern wird im Bundestag und in der Bundesregierung darüber gesprochen, dass ganz offensichtlich der türkische Staat in Deutschland über die Moscheen der DITIB ein Mitspracherecht in Sachen Integration bekommt. Die Rede des türkischen Ministerpräsidenten bzgl. der Integration habe ich mit Erschrecken wahrgenommen! Wo wird das thematisiert und wo würden Sie sich wünschen, dass ich mich als Demokrat in diese Debatte einbringe?
Inwiefern werden desweiteren christen-, juden- und frauenfeindliche - und noch immer geltende (!) - Suren des Koran kritisch beleuchtet und der Bevölkerung kommuniziert? Ich habe die starke Befürchtung, das deutsche Volk wird ob des Gewaltrechtfertigungspotenzials der islamischen Lehre gefährlich im Dunkeln gelassen! Wird die Lehre des Islam mit unserem GG abgeglichen? Wo geschieht das?
Sehr geehrter Herr Stammeier,
in Ihrer Anfrage vom 26.10.2008 beschäftigen Sie sich mit der Rolle des Islam in der Bundesrepublik. Wenn ich Sie richtig verstehe, machen Sie sich darüber Sorgen, wie es um die Form der Integration des Islam in Deutschland beschaffen ist.
Ich kann Ihre Darstellungen jedoch weder teilen noch nachvollziehen. „Unsere Werte“, die Sie ansprechen, können hier objektiv ausschließlich aus dem Grundgesetz abgeleitet werden, wozu der Grundgesetzartikel 4 der Religionsfreiheit, auf den Sie selbst verwiesen haben, gehört. Es ist selbstverständlich auch meine Auffassung, dass es jedem Menschen ermöglicht werden sollte seinen Glauben selbst zu wählen und diesen Glauben auch ungehindert auszuüben, sofern die Ausübung nicht in Konflikt mit dem Grundgesetz gerät, so dass keine grundgesetzlichen Rechte anderer Mitbürger verletzt werden. Daher liegt es mir vollkommen fern, es für wünschenswert oder gar notwendig zu erachten, eine Religion in ihren Glaubensüberzeugungen von der Bundesregierung kritisch diskutieren und beurteilen zu lassen. Eine solche kritische Auseinandersetzung kann nur innerhalb der Religionsgemeinschaft selber geführt werden, und es erscheint fatal eine staatliche Beeinflussung zu suchen und zu fordern, da dies direkt gegen das Grundgesetz und den aufgeführten Artikel 4 verstoßen würde.
Vollkommen unklar bleibt für mich auch, wo Sie ein Mitspracherecht der Türkei in der deutschen Integrationspolitik identifizieren. Sie erwähnen die Rede des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, in der er die in Deutschland lebenden Türken und den türkischstämmigen Teil der deutschen Bevölkerung zur Integration aufrief. Dies solle durch das Erlernen der deutschen Sprache vom Kindesalter an geschehen und durch das Selbstverständnis eines jeden getragen sein, ein wesentlicher Teil der Gesellschaft zu sein. Es handelte sich dabei um eine privat-öffentliche Rede Erdogans und keinesfalls um einen Eingriff in die deutsche Integrationspolitik. Das ist generell auch nicht möglich, weil Erdogan keine innerstaatlichen, politischen Kompetenzen in der Bundesrepublik besitzt. Innergesellschaftliche Integrationsprozesse sind u. a. in diesem Fall nicht mit politischen Handlungen zu verwechseln. Freie Meinungsäußerung gehört ebenfalls zu den von Ihnen erwähnten Werten (Artikel 5 GG), und ich halte es für sehr wichtig, dass ein solcher Kommunikations- und Partizipationsprozess frei und ohne Zensur ausgeübt werden kann. Ein solcher interreligiöser Austausch kann zu sehr fruchtbaren und förderlichen Ergebnissen führen, wie die drei bislang auf Initiative der Bundesregierung durchgeführten Integrationsgipfel gezeigt haben. Hier kommen Beteiligte von Bund, Länder und Kommunen, Vertreterinnen und Vertreter der Bürgergesellschaft und Migranten sowie Vertreter von Religionsgemeinschaften zusammen, um die Probleme der Zuwanderintegration in intensiven Diskussionen zu erörtern. Beim letzten Treffen am 06.11.2008 wurde die Umsetzung des im Juli 2007 verabschiedeten nationalen Integrationsplans bewertet. Dieser umfasst ca. 400 Selbstverpflichtungen, davon stammen 150 von der Bundesregierung selbst, die 750 Millionen Euro für Integrationsprogramme bereitgestellt hat, wie z.B. für die flächendeckende Bereitstellung von Sprachkursen, die Rückerstattungen des Kostenbeitrags der Teilnehmer und die Verbesserung des Qualifikationsniveaus der Lehrkräfte.
Ihre Frage, ob das Grundgesetz mit den Lehren des Islam abgeglichen wird, kann ich nur verneinen.
Ihre Frage wirkt auf mich in sich nicht schlüssig, da Sie für den Erhalt von Grundrechten und Grundfreiheiten religiös anders orientierten Mitbürgern wiederum massive Grundrechtseinschränkungen auferlegen wollen, um eben genau diese zu schützen – das mutet nicht nur absurd an, sondern klingt verhängnisvoll in einer freien Demokratie wie der unseren, auf die ich stolz bin. Offensichtlich haben Sie eine andere Wertevorstellung als ich, da ich der Auffassung bin, dass alle Bürger gleichen Anspruch auf die gleichen Grundrechte besitzen.
Mit freundlichen Grüßen
Bettina Hagedorn