Frage an Bettina Hagedorn von Thorsten M. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Hagedorn,
zunächst: In dieser offentlichen Diskusion bleibe ich lieber bei der "Sie-Form", auch wenn wir im heimatlichen Rahmen anders miteinander umgehen.
Steigende Energiekosten - pragmatisches Herumdoktoren an Symptomen.
Es ist erschreckend welche Vorschlage gemacht werden, mit denen "Sozialempfängern" geholfen werden könnte das Tragen dieser (auch weiterhin steigenden) Lasten zu ermöglichen; aber das hier geholfen werden muss ist klar.
Die Senkung der steuerlichen Belastung der Energiekosten halte ich persönlich für den schlechtesten Weg. Richtig ist, dass der Staat durch die Steuern viel abschöpft.
Es ist aber auch der Staat der auf Grund seiner statischen Erfassungsmöglichkeiten bestimmt welche und wieviel Unterstützung den Bedürftigen zukommen muss. Anhand dieser Möglichkeiten dürfte es doch keine Schwierigkeit bereiten den Anteil des Anstieges der Energiekosten im täglichen Leben dieser Gruppen festzustellen.
Warum also nicht zeitnah die Grenzen der Unterstützung entsprechend anheben - was auch kurzfristig geschehen kann. Natürlich wären diese Mehrkosten von den Institutionen zu tragen, die von den (steuerlichen) Mehreinnahmen "profitieren" und nicht von den Gemeinden zu tragen sind! Es wird soviel von eigentlich "zweckgebundenen" Einnahmen per (neuen) Gesetzen für andere Dinge ausgegeben - warum nicht auch hier?
Im Angedenken an die Antwort auf meine letzte Frage - in der Sie die Schwierigkeiten mit den "Interessenvertretungen" anklingen ließen: Die von mir angesprochenen Gruppen haben keine Lobby und verdienen alleine dadurch unsere besondere Aufmerksamkeit, weil sie sonst abwandern könnten zu Parteien die sich statt abgestimmter Programme mehr einer politisch gefärbten "Stammtischsprache" bedienen. Das schadet besonders uns!
Alles Gute für Sie!
Thorsten Markmann.
Sehr geehrter Herr Markmann,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema steigende Energiekosten vom 29.07.2008. Leider komme ich wegen der Haushaltsberatungen – die mich als Mitglied im Haushaltsausschuss wie jeden Herbst seit Ende August „nonstop“ in Anspruch nehmen – erst jetzt dazu, ihre Fragen detailliert zu beantworten. Die zeitliche Verzögerung meiner Antwort bringt es aber mit sich, dass wir gemeinsam feststellen können, dass sich auf dem Energiemarkt in den letzen zwei Monaten ein ebenso atemberaubender Preisverfall bedingt durch die Finanzkrise ereignet hat wie wir zuvor in einer Phase der Hochkonjunktur einen unaufhaltsamen Preisanstieg sowohl bei Heizöl wie auch bei Spritkosten erlebt haben, der grade Menschen mit geringerem Einkommen enorme Probleme bei den Lebenskosten verursachte. Andererseits profitieren alle Bevölkerungsgruppen jetzt besonders stark von der Tatsache, dass der Preis für einen Liter Sprit seit dem Sommer um knapp 30 Cent gesunken ist und für Heizöl von 98 auf 74 Euro pro 100 Liter – zur Zeit haben die Menschen eher das Problem, von den Lieferanten rechtzeitig mit Brennstoffen für den Winter versorgt zu werden. Durch diese aktuelle Entwicklung wird gezeigt, dass undifferenzierte Instrumente – seien es Steuersenkungen auf Energiekosten oder pauschale Erhöhungen von Transferleistungen – ungeeignete politische Antworten auf die aktuellen Herausforderungen sind, weil sie angesichts des unkalkulierbaren Auf und Ab der aktuellen Situation als längerfristig wirkende Instrumente zu unflexibel sind. Besser ist es, wenn der Staat die sparsam einzusetzenden Steuergelder sehr zielgenau so einsetzt, dass nicht nur diejenigen, die in einem Sozialstaat förderwürdig sind, auch gefördert, sondern dass ebenso „Mitnahmeeffekte“ vermieden werden. Neue Ungerechtigkeiten würden entstehen, wenn auf eine sich manchmal rasch ändernde Marktsituation (wir erleben gerade ein besonders drastisches Beispiel) dann nicht politisch ebenso rasch reagiert werden kann. Insofern sind wir beide einer Meinung, dass - jetzt die Energiesteuer zu senken - der völlig falsche Ansatz wäre.
Sehr geehrter Herr Markmann, da wir uns seit über 10 Jahren aus meiner Zeit als Amtsvorsteherin am Bungsberg kennen, werden Sie sich erinnern, dass ich mich schon immer für die Verbesserung der Situation von Sozialhilfeempfängern engagiert und stark gemacht habe. Während früher – vor der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe - sich Kommunen und Länder die Kosten für die Sozialhilfe teilten, trägt heute der Bund nicht nur die Kosten für die Vermittlung und Qualifizierung aller Arbeitslosen, sondern zusätzlich auch noch knapp 30% der Kosten der Unterkunft (KdU) und Heizung. Die Gemeinden wurden durch diese zu Unrecht viel gescholtene Hartz IV Reform massiv entlastet - Schleswig-Holstein wurde von den westdeutschen Flächenländern im Übrigen am meisten entlastet, da es ursprünglich mit der relativ höchsten Sozialhilfequote zu kämpfen hatte. Aber um die Entlastung der öffentlichen Haushalte in Schleswig Holstein und in den Kommunen geht es nicht in erster Linie – das Hauptinteresse von uns Sozialdemokraten gilt der Verbesserung der Lebensumstände für die Menschen.
Die SPD hat bereits Anfang 2008 ihre „Hausaufgaben“ gemacht und auf die explodierenden Energiekosten die richtige politische Antwort gegeben: Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee stellte im Februar 2008 sein Konzept zur Erhöhung des Wohngeldes vor. Dieses Konzept als Gesetz zu verabschieden, war für die SPD ein Kraftakt, denn der Widerstand der CDU/CSU in Bund und Ländern war erheblich. Eigentlich sollte die Erhöhung des Wohngeldes ab dem ersten Januar 2009 gelten. Trotz des Widerstandes der Union konnten wir uns aber im Koalitionsausschuss am 5. Oktober 2008 angesichts der bevorstehenden Heizperiode mit einer rückwirkenden Vorverlegung auf den 1. Oktober 2008 durchsetzen - diese Erhöhung kostet 520 Millionen Euro jährlich und allein die Vorverlegung auf den 1. Oktober kostet 2008 120 Millionen Euro. Dies ist ein großer Erfolg für die SPD - aber vor allem für Geringverdiener in Deutschland! Das Wohngeld wird erstmals bezogen auf die Warmmiete errechnet und nicht mehr durch die Kaltmiete bestimmt und bezieht dadurch auch die steigenden Heizkosten mit ein. Dies bedeutet eine durchschnittliche Erhöhung von 90 auf 150 Euro im Monat und kommt etwa 800.000 Haushalten mit niedrigem Einkommen und 300.000 Rentnerhaushalten zu Gute. Da Bund und Länder sich die Kosten teilen, muss dem Beschluss noch der Bundesrat im Dezember zustimmen. Die Wohngeldnovelle ist der richtige Ansatz, um möglichen Preissteigerungen im Energiebereich dort entgegen zu wirken, wo Probleme bestehen: wir unterstützen damit die Menschen in Deutschland, für die hohe Energiekosten am schmerzhaftesten sind und „Besserverdiener“ erhalten nach dem solidarischen Motto „Starke Schultern können mehr als schwache tragen“ keine extra Vergünstigungen. Wir stärken mit der Wohngelderhöhung gezielt finanziell schwache Menschen, damit diese Familien ihr Geld verstärkt in ihre Lebenshaltungskosten und in den Konsum investieren können und damit die Binnennachfrage stärken.
Das aktuelle Auf und Ab der Preisspirale bei den Energiekosten verdeutlicht, dass die Preise der Energie- und Mineralölkonzerne sehr viel mit dem Weltmarkt, mit globalen Krisen, mit der verstärkten Nachfrage in Ländern wie Indien und China, mit der Ressourcenverknappung und letztlich auch mit Spekulationen und der Gier der Energie- und Mineralölkonzerne zu tun haben. In Deutschland war in den letzten Jahren erkennbar, wie die großen Energiekonzerne RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW systematisch die Preisspirale ohne Rücksicht auf volkswirtschaftliche Schäden hochgetrieben haben. Dieses öffentlich zu thematisieren war mir schon immer sehr wichtig. So habe ich zuletzt in meinem Bericht aus Berlin Nummer 34 (http://www.bettina-hagedorn.de/publikationen/bericht_aus_berlin/berichtausberlin34.pdf) umfangreich über die kritische Monopolsituation dieser vier Energiemultis berichtet und deren unverhältnismäßiges Gewinnstreben angeprangert: Obwohl diese vier Konzerne 2007 erneut Gewinnsteigerungen von 9 bis 15 Prozent - allein E.ON einen Gewinn von über 5 Milliarden Euro - einstreichen konnten, kündigten die vier Energiemonopolisten wieder saftige Preiserhöhungen von bis zu 10 Prozent für das Frühjahr 2008 an. Einzige langfristig erfolgversprechende Gegenmaßnahme: Wir müssen deren Monopolstellung brechen und mehr Wettbewerb schaffen. Dafür ist vor allem auch der Netzausbau wichtig, der kleineren Anbietern eine Chance auf Wettbewerb abseits von den überhöhten Durchleitungsgebühren der Monopolisten - hier vor allem E.on - eröffnet. Diese Strategie der dezentralen Energieversorgung muss aber erst einmal gegen die mächtige Lobby der Energieriesen durchgesetzt werden. Das kostet Zeit, die vor allem die finanziell schwachen Menschen in Deutschland nicht haben.
Es sind dennoch bei der Bekämpfung des Energiemonopols bereits erste Erfolge zu verzeichnen, wie das Missbrauchsverfahren gegen sechs regionale E.ON-Gasversorger Anfang Oktober dieses Jahres gezeigt hat. Obwohl § 29 des GWB noch nicht einmal zehn Monate alt ist, können wir schon jetzt feststellen, dass dieses Instrument in die richtige Richtung weist. Im erwähnten Verfahren wurde entschieden, dass durch eine Verschiebung der Preiserhöhung bzw. im Rahmen von Boni 55 Millionen Euro an die Kunden zurückgezahlt werden müssen. Weitere knapp 30 Verfahren gegen Gasversorger stehen nach Aussage des Bundeskartellamtes kurz vor dem Abschluss.
Schon seit Jahren schaffen wir darüber hinaus mit dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm Anreize zur energetischen Gebäudesanierung. Allein in den Jahren 2005 bis 2007 wurden 650 000 Wohnungen mithilfe von staatlichen Zinsverbilligungen oder Zuschüssen saniert oder energiesparend neu gebaut. Durch diese dauerhafte Entlastung der Haushalte im Hinblick auf ihre Energiekostenrechnung wurden außerdem Tausende, ja Zehntausende von Arbeitsplätzen im lokalen Handwerk gesichert und zum Teil neu geschaffen. Wegen der hohen Nachfrage haben wir die Mittel für energetische Sanierungen im Bereich privater Haushalte Mitte dieses Jahres von 900 Millionen Euro auf 1,4 Milliarden Euro aufgestockt. Wir haben uns geeinigt, das CO2-Gebäudesanierungsprogramm mindestens bis 2011 mit mindestens 900 Millionen Euro jährlich fortzuführen. Ein weiteres Element ist das Gesetz zur Liberalisierung des Zähl- und Messwesens. Spätestens 2010 hat der Verbraucher die Möglichkeit, sich intelligente Strom- und Gaszähler einbauen zu lassen, wodurch wir Transparenz über den tatsächlichen Energieverbrauch und neue Möglichkeiten zur gezielten Verbrauchssteuerung schaffen. Wir haben in dieses Gesetz auch die Pflicht der Energieversorgungsunternehmen aufgenommen, tageszeit- und lastvariable Tarife anzubieten. Auch damit wird der Energieverbraucher zunehmend zu einem wirklich mündigen Kunden.
Ich hoffe, dass wir in weiten Teilen meiner Ausführungen weiterhin hohe Übereinstimmung haben und verbleibe mit freundlichen Grüßen an die heimatliche Bungsbergregion
Ihre Bettina Hagedorn