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Bettina Hagedorn
SPD
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Frage von Thorsten M. •

Frage an Bettina Hagedorn von Thorsten M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Hagedorn,
eine Frage zur Bildung der politischen Ziele in unser Demokratie.

Es sollen die Parteien sein, die durch Ihre Programme die Hauptthemen und die geplanten Ziele und Wege zu deren Erreichung festlegen. Die Abgeordneten wählen sich die Partei der sie angehören wollen anhand der jeweiligen Programme und vertreten die Partei entsprechend.

Die Abgeordneten sind nur Ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich - gut.

Die machbare Politik besteht grundsätzlich aus Kompromissen, die sich aus Lösungen zwischen den unterschiedlichen Zielsetzungen ergeben. Daraus kann man schließen, dass keine Partei ihre Programmziele zu 100% durchsetzen kann. Das Ergebnis ist also (meistens) das im Moment Machbare.

Weiterhin:
Ich gehe davon aus, dass Ihnen die Kommentare des Herrn Herbert von Arnim in Bezug auf die "Politikbildung" in unser Bundesrepublik bekannt sind.

Zu meiner Frage:
Sind irgendwelche Bestrebungen im Gange, die durch die Parteibildung verursachten Blockbildungen aufzubrechen?

Meine Meinung ist, dass die noch zu erreichenden Ziele und die noch zu lösenden Probleme eher eine Lösung durch den gesunden Menschenverstand erfordern (natürlich ist das ein fortdauernder Prozess). Das könnte auch durch Politiker erreicht werden, die keiner Partei angehören. Nur solche Personen können bei dem geltenden System der politischen Meinungsbildung nicht dorthin kommen, wo sie die Möglichkeit hätten ihre Fähigkeiten einzusetzen. Sie kommen nicht in die Parlamente. Gibt es irgendwelche Denkanstösse in dieser Richtung.

Es ist doch schade, das jeder sich erst eintscheiden muss ob Rot, Schwarz, Gelb, Grün oder Links oder Rechts.

Das Machbare - wie schon gesagt - liegt doch (fast) immer irgendwo zwischen den Blöcken.

Zum Schluss noch etwas persönliches: Ich halte Ihre Art "Politik" zu machen für sehr gut.

Mit freundlciehm Gruß

Thorsten Markmann.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Markmann,

ich danke Ihnen für Ihre Anfrage vom 5. Mai 2008, in der Sie den Status der Parteien in der Politik thematisieren.

Parteien nehmen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland eine zentrale Position ein. Nach den Erfahrungen der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus wurde ihre Stellung gestärkt und im Grundgesetz verankert. Es weist ihnen einen besonderen Platz in der politischen Meinungsbildung und den demokratischen Entscheidungsprozessen zu.

Es bestehen im parlamentarischen Raum keine Bestrebungen, Parteien aus den politischen Entscheidungsprozessen herauszulösen. Ich sehe auch keinen Anlass dazu, da ich der Meinung bin, dass Lösungen mit „gesundem Menschenverstand“ nicht durch die Zugehörigkeit zu politischen Parteien beeinträchtigt werden. Allein die Tatsache der Parteilosigkeit führt nicht automatisch zu besseren Entscheidungen. Auch parteiunabhängige „Experten“ sind interessengeleitet! Die „Herkunft“ ihres jeweiligen Interesses ist aber regelmäßig für die interessierte Öffentlichkeit weniger transparent als bei Parteivertretern, wodurch die kritische Einordnung ihrer niemals wertneutralen Statements schwierig ist. Ich kenne im Übrigen keine Experten, die unpolitisch sind. Parteilosigkeit ist per se kein Beweis für Objektivität. Parteizugehörigkeit ist zwar immer ein grundsätzliches Bekenntnis, setzt aber nicht 100%ige Zustimmung zur Partei voraus. Es eint die Parteimitglieder generell das Engagement, ihre Partei demokratisch mit gestalten zu wollen. Einflussnahme auf die Politik und ihre Beschlüsse, kann man nur als Mitglied nehmen – und da erlebt man selbstverständlich auch Abstimmungsniederlagen und lernt mit demokratischen Mehrheitsbeschlüssen tolerant umzugehen.

Fakt ist, dass der Weg in die Politik fast immer über die Mitgliedschaft in einer Partei führt, auch wenn die Wahl parteiloser Abgeordneter grundsätzlich möglich ist. Die aktive Mitgestaltung von Parteiarbeit ist natürlich nur von „innen“ heraus als Mitglied möglich. Auch innerhalb einer Partei, insbesondere bei den „Volksparteien“, gibt es ein erhebliches Spektrum an Meinungen und Positionen. Trotz zum Teil sehr kontroverser Ansichten, teilen die Parteimitglieder die gleichen Grundwerte (im Fall der SPD: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität).

Die Rekrutierung des politischen Personals über Parteien spiegelt sich in der Arbeitsweise des Parlaments wider. Der Deutsche Bundestag ist ein Arbeitsparlament, in dem der Hauptteil der Arbeit in den Ausschüssen und Arbeitsgruppen geschieht. Jedes Mitglied einer Fraktion wird zu einem Spezialisten auf seinem Gebiet, der wiederum in speziellen Fragen auf ihm fremden Politikfeldern auf das Urteil seiner Fraktionskollegen, die dieses Feld bearbeiten, vertraut. Meine Arbeit findet beispielsweise hauptsächlich im Haushaltsausschuss statt und dort bin ich derzeit für das Bundesinnenministerium zuständig. Ich kann Ihnen versichern, dass allein schon dieser spezielle Bereich ein sehr komplexes Arbeitsgebiet darstellt. In einem System mit schwächeren Parteien, wie Sie es vorschlagen, wäre diese Arbeitsteilung deshalb nicht durchführbar, weil das Vertrauen auf die gemeinsamen Grundwerte das Band bildet, das zu dieser engen Kooperation führt. Abgeordnete müssten sonst „Generalisten“ sein, die sich dann auf allen Gebieten nur oberflächlich auskennen könnten. Im Sinne einer sachlich intensiven und tiefschürfenden Arbeit als Abgeordnete, wie sie sowohl im Sinne der Wählerinnen und Wähler als auch in unserer Aufgabe die Regierung angemessen zu kontrollieren, gewünscht ist, genügt eine nur oberflächliche Beschäftigung mit parlamentarischen Fragestellungen nicht. Ich bin sicher, dass eine so differenzierte Entscheidungsfindung, wie sie jetzt möglich ist, unter dem von Ihnen vorgeschlagenen Modell nicht mehr denkbar wäre.

Darüber hinaus bietet das jetzige System auch aus Aspekten der Gerechtigkeit und Repräsentativität Vorteile gegenüber einem System der schwachen Parteien. Während in unserem politischen System in der Praxis jeder unabhängig von seinem sozialen Status und Einkommen Abgeordneter werden kann, ist in Systemen mit schwach ausgeprägten Parteien wie in den USA das Privatvermögen häufig für einen Wahlerfolg entscheidend. Nur wer dort die Kosten eines teuren Wahlkampfs aus dem Privatvermögen aufbringen kann oder reiche Unterstützer hat, kann auf ein Mandat hoffen.

Eine weitere Funktion der Parteien ist, dass sie dem Wähler eine Orientierungshilfe geben. Insbesondere den Wählern, die sich nicht tagtäglich intensiv mit Politik beschäftigen und die Direktkandidaten ihres Wahlkreises gut einschätzen können, zeigt die Zugehörigkeit zu einer Partei an, welche Werte und welches Weltbild ein Kandidat vertritt. Als Parteimitglied „bekennt“ man sich öffentlich, man „outet“ sich mit einer Grundhaltung und begibt sich damit in die öffentliche Auseinandersetzung. Das dient der Klarheit und Transparenz.

Im Übrigen empfinde ich es nicht als Nachteil des politischen Systems, dass politische Ergebnisse meist Kompromisse sind und sich keine Gruppe zu 100% durchsetzen kann. In der Kompromissbildung spiegeln sich der Wählerwille und die Kräfteverhältnisse des politischen Willens der Bevölkerung wider. In dem Ergebnis finden sich so zumeist sogar die Positionen der Oppositionsfraktionen wieder.

Ich freue mich, dass Ihnen meine Art Politik zu machen gefällt, und hoffe dass ich Ihnen mit meiner Antwort Ihre Skepsis gegenüber den Parteien ein Stück weit nehmen konnte.

Mit freundlichen Grüßen

Bettina Hagedorn

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