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Bettina Hagedorn
SPD
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Frage von Angelika S. •

Frage an Bettina Hagedorn von Angelika S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Hagedorn,

zu Ihrer Antwort vom 28.2.08 betr. Afghanistan:

Bitte tragen Sie bei Google Web ein: sueddeutsche: Egon Bahr zu Afghanistan.
Er bezweifelt, dass in Afghanistan weder die Demokratie noch ein sich selbst tragender Staat erreicht werden kann. Dieses Ziel könnte nach seiner Auffasung nur erreicht werden, wenn man über 20 Jahre lang 500.000 Nato-Soldaten dort stationiert. Dafür gäbe es aber keine Parlamente, die dem zustimmen.

Folgende Fragen dürfen nicht unbeantwortet bleiben:

Glauben Sie nicht, dass wirtschaftliche Gründe für das Einmischen mit kriegerischen Mitteln im Ausland ausschlaggebend sind? Wird nicht der Terrorismus erst möglich durch Kriegsbeteiligungen in einer großen Zahl von Ländern? Hat Deutschland aus der Vergangenheit immer noch nicht gelernt? Ist hier nicht an das Gewissen zu appellieren und grundsätzlich gegen Auslandseinsätze zu stimmen? Ist die strategische Lage - also die Nähe zu Ölstaaten und zum Iran - der entscheidende Grund?

Warum ignorieren Sie, dass im Nahen Osten durch die israelische Besiedelung des Westjordanlandes der Terrorismus gefördert wird?

Zu den von Ihnen erwähnten "Afghanistan-Veranstaltungen": Mir wurde berichtet, dass dort Bundestagsabgeordnete ihre rhetorische Überlegenheit einsetzen, um unbequemen Fragen auszuweichen.
Deshalb: Bitte erläutern Sie die Gründe für Ihr Abstimmungsverhalten im Regionalteil Ostholstein der Lübecker Nachrichten und im Ostholsteiner Anzeiger. Dann erreichen Sie mehr Leute und diese können in Ruhe über Ihre Argumente nachdenken. Wie werden Sie auf diese Anregung reagieren?

Freundliche Grüße
Angelika Scheer

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Scheer,

aus dem von Ihnen erwähnten Interview mit Egon Bahr vom Juni 2007 geht für mich hervor, dass er genauso wenig wie ich die Zukunft Afghanistans vorhersehen kann. Deshalb wäre ich in mancher Einschätzung über das zeitliche und quantitative Engagement der Nato sicher vorsichtiger als er.

Ich stimme hingegen mit ihm voll überein, dass eine Analyse des bisherigen Afghanistan-Einsatzes und ggfs. eine Neujustierung von Zielen, Strategien und Einsatzmitteln zusammen mit den Partnern der UN-Mission zu erfolgen hat – und erfolgen wird. Es war stets die SPD und ihr Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der die Fortsetzung der Petersberger Konferenzen zu Afghanistans Zukunftsperspektiven gefordert und initiiert hat. Die SPD-Bundestagfraktion hat bereits vor über einem Jahr eine Arbeitsgruppe von Außen- und Innenpolitikern, von Mitgliedern im Verteidigungs- wie Entwicklungshilfeausschuss eingesetzt, die ressortübergreifend systematisch die Einsätze und die Entwicklung Afghanistans analysiert und Konsequenzen formuliert hat – diese Ergebnisse können Sie unter http://www.spdfraktion.de/cnt/rs/rs_datei/0,,8816,00.pdf im Internet nachlesen. Diese Analyse ist Grundlage des Beschlusses, der vom SPD-Bundesparteitag zu Afghanistan Ende Oktober 2007 mit großer Mehrheit gefasst wurde und der damit Grundlage des Handels der SPD-Bundestagsfraktion ist. Ich bin sicher, dass auch Egon Bahr die Beschlüsse dieses Parteitages als seine und meine Grundlinie akzeptiert.

Ich kann Ihnen versichern, dass wirtschaftliche Gründe bei der deutschen Entscheidung für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan keinerlei Rolle gespielt haben. Welche wirtschaftlichen Gründe sollten das denn bitte schön sein? Ihrer Logik (Nähe zu Ölstaaten…) folgend hätte Deutschland sich dann ja konsequenterweise vor allem am Irak-Krieg beteiligen müssen – wie viele Sozialdemokraten halte ich jedoch das „Nein“ zum Irak-Krieg für eine der wichtigsten Entscheidungen in Schröders Amtszeit. Wie ich Ihnen bereits in meiner letzten Antwort ausführlich dargestellt habe, bin ich froh darüber, dass Deutschland eine Parlamentsarmee hat und dass deutsche Soldaten nur dann im Ausland (zeitlich eng befristet) eingesetzt werden dürfen, wenn der Bundestag in freier Gewissensentscheidung aller Abgeordneten mit Mehrheit darüber entschieden hat – bisher wurden die Auslandseinsätze in namentlicher Abstimmung stets von starken, überparteilichen Mehrheiten und nie knapp entschieden. Diese Tatsache mag nicht in Ihr Weltbild passen, aber sie ist ein unumstößlicher Fakt. Es wird Ihnen nicht verborgen geblieben sein, dass nach dem kritischen Parteitagsbeschluss der GRÜNEN zu Afghanistan im Herbst 2007 es dennoch etliche Abgeordnete gab, die mit „Ja“ gestimmt haben – und fast eine Mehrheit mit „Enthaltung“. Wie analysieren Sie dieses Abstimmungsergebnis? Ich kenne viele der Abgeordneten und weiß, dass etliche das „Nein“ des Parteitages nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten. Insofern ist Ihre Suggestivfrage: „Ist hier nicht an das Gewissen zu appellieren und grundsätzlich gegen Auslandseinsätze zu stimmen?“ in sich paradox – ich treffe meine Entscheidungen zu Auslandseinsätzen ausschließlich als reine Gewissensentscheidungen und habe bisher immer mit „Ja“ gestimmt.

Ihre These, Auslandseinsätze würden den Terrorismus erst bedingen, empfinde ich als absurd. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Anschläge des Terrornetzwerks Al-Quaida auf die USA dem militärischen Engagement westlicher Staaten in Afghanistan vorausgegangen sind. Etliche Terrorakte seitdem haben zahllose unschuldige Zivilisten das Leben gekostet und entspringen dem kaltblütigen Kalkül Al-Quaidas, westliche Demokratien durch Terrorakte zu destabilisieren. Das kranke Ziel bleibt, einen totalitären Gottesstaat zu schaffen und Menschen rigoros in ihrer Selbstbestimmung und Entfaltung zu unterdrücken. Unsere freiheitlichen Werte widersprechen diesem Ziel fundamental. Würde die Staatengemeinschaft die Drahtzieher der Terrorakte unbehelligt lassen, wäre eine Ausbreitung der terroristischen Machtstrukturen in instabilen Gesellschaften wie in Afghanistan die logische Folge und weitere Anschläge nur eine Frage der Zeit. Ziel der ISAF-Mission bleibt der Wiederaufbau Afghanistans, die Unterstützung der gewählten Regierung, die Etablierung demokratischer Strukturen und der Aufbau eigener Sicherheitsorgane. Die beste Möglichkeit, den Terrorismus zu bekämpfen, sehe ich deshalb darin, den Menschen in Afghanistan ein Leben ein Frieden und Freiheit zu ermöglichen, in dem sie eine Zukunftsperspektive entwickeln können.

Auslandseinsätze können heute durch die Gemeinschaft der Staaten im Rahmen von UN-Resolutionen gebilligt werden. In Klartext heißt das: Nur wenn eine Mehrheit der Staaten die Notwendigkeit zum Eingriff gegen waltendes Unrecht sieht, wird ein Mandat erteilt. Ein UN-Mandat ist weiterhin absolute Bedingung für ein Bundestagsmandat zum Auslandseinsatz. Um auf Ihren historischen Vergleich zurückzukommen möchte ich Sie daran erinnern, dass es unter anderem die USA waren, die Deutschland 1945 durch einen „Auslandseinsatz“ von einem Unrechtsregime befreit haben. Nebenbei war 1939 die Mehrheit der Amerikaner gegen einen Kriegseintritt. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie die Geschichte ohne die Intervention der USA verlaufen wäre. Ich möchte den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan wahrlich nicht mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg gleichsetzen. Ich möchte aber deutlich machen, dass es nicht die Lehre aus unserer Vergangenheit sein kann, dass diktatorische und terroristische Unrechtsregime ohne Waffen bekämpft und beseitigt werden können. Im Übrigen ignoriere ich die israelische Besiedlungspolitik absolut nicht - eine direkte Verbindung zwischen der israelischen Besiedlungspolitik und dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan vermag ich allerdings nicht zu erkennen.

Ich finde es abschließend sehr bedauerlich, dass Sie meine beiden Diskussionsveranstaltungen in Eutin mit namhaften Experten zum Thema „Afghanistan“ im April und Oktober 2007 negativ bewerten, obwohl Sie ganz offensichtlich selbst nicht da waren. Ich denke die jeweils 80 bis 100 Zuhörer werden ebenso wie die anwesenden Journalisten bestätigen können, dass dabei entgegen ihrer Unterstellung keiner einzigen unbequemen Frage ausgewichen wurde. Ich kann Ihnen versichern, dass ich Wert darauf lege, dass bei der Diskussion stets das ganze Meinungsspektrum zum Tragen kommt und kritische Stimmen nie fehlen. Erst am 19. März war ich mit meinem Bundestagskollegen Jörn Thießen bei einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung zum Thema „Sprengsatz Afghanistan“ in Lütjenburg und am 6. Oktober plane ich in Eutin erneut eine Afghanistan-Veranstaltung mit dem Außenpolitiker und Kollegen Niels Annen. Sie sind herzlich willkommen.

Im Übrigen lege ich regelmäßig die Hintergründe meiner Entscheidungen gegenüber der Presse, in meinem „Bericht aus Berlin“ und auf meiner Homepage dar. Darüber hinaus hat das Fehmarner Tageblatt am 1. November 2007 ein Interview mit mir über meine Ansichten über die Bundeswehrbeteiligung in Afghanistan veröffentlicht, in dem ich ausdrücklich auf meine umfangreichen Antworten zu diesem Thema bei www.abgeordnetenwatch.de verwiesen habe, um interessierten Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen, sich weitergehend zu informieren.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre Bettina Hagedorn

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