Frage an Bettina Hagedorn von Jürgen B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Hagedorn,
immer wahrscheinlicher wird, dass Urlauber*innen aus "Corona-Risikogebieten" bei Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland einen Test machen lassen müssen, ob sie infiziert sind.
Auch die SPD ist für diese Maßnahme. Allerdings ist die SPD - die Partei der "kleinen Leute", die sie einmal war - wohl für kostenlose Tests. Diese sind natürlich nicht kostenlos, sondern werden auch von denen bezahlt werden, die z.B. nicht das Geld haben, in "Corona-Risikogebieten" Urlaub zu machen, sondern aufgrund prekärer werdenden Umständen "Urlaub" zu Hause machen.
Interessant dabei: Diejenigen, die sich hier einem Test unterziehen wollen, müssen die Tests selbst bezahlen ...
Wie gedenken Sie als SPD-Mitglied auf die Regierungsmitglieder der SPD einzuwirken, um solche "kostenlosen" Test für Privilegierte zu verhindern? Oder stehen Sie etwa ebenfalls für kostenlose Tests ein?
Mit freundlichen Grüßen
J. B.
Sehr geehrter Herr Brandt,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 27. Juli 2020 auf abgeordnetenwatch.de zu kostenlosen Coronatests für Reiserückkehrer. Sie wollen konkret wissen, wie ich „… auf die Regierungsmitglieder der SPD einwirke, um solche ‚kostenlosen‘ Tests für Priviligierte (Auslandsurlauber) zu verhindern. Dazu möchte ich Ihnen zunächst mitteilen, dass die von Ihnen geäußerten Bedenken innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion viel stärker geteilt werden, als das Ihnen vermutlich bewusst ist. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich hat die Bedenken unserer Fraktion bereits am 29. Juli gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) auf den Punkt gebracht: „Wenn die Allgemeinheit jetzt auch für solche Menschen bezahlen soll, die sich durch die Reise in ein Risikogebiet leichtsinnig in Gefahr begeben haben, finde ich das schwierig.“
Allerdings muss ich Sie vorab über einige offenkundige Missverständnisse aufklären, denn die Verordnung zum verpflichtenden Test von Reiserückkehrern auf der Basis des Infektionsschutzgesetzes fällt in die alleinige Ressortzuständigkeit von Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU. Am 31. Juli 2020 – also drei Tage NACH Ihrer Anfrage an mich per Abgeordnetenwatch – hat Minister Jens Spahn im Rahmen seiner Ressorthoheit eine neue Testpflichtverordnung des Bundesgesundheitsministeriums veröffentlicht, wonach diejenigen, die nach Deutschland einreisen und sich in den 14 Tagen vor der Einreise in einem Risikogebiet aufgehalten haben, sich ab dem 01. August 2020 (kostenlos) binnen 72 Stunden auf das Coronavirus testen lassen sollen. Die konkrete Umsetzung sollte stets durch die jeweiligen Bundesländer erfolgen. Grundlage dieser Regelung ist § 5 Abs. 2 Nr. 1 e des Infektionsschutzgesetzes, das – wie der Name schon sagt – sich vorrangig um den Infektionsschutz für die Bevölkerung kümmert, damit sich Vorgänge wie im Winter – ausgelöst durch Skiurlaub-Rückkehrer aus Ischgl – nicht unkontrolliert wiederholen. Ab dem 08. August wurde dieser Covid-Test zur Pflicht und vom Gesundheitsministerium festgelegt, dass – bis das Testergebnis vorliegt – sich die Rückkehrer in häusliche Quarantäne begeben und sich beim Gesundheitsamt melden müssen. Diese Verordnung des Gesundheitsministers Jens Spahn diente allein dem Ziel, dass Reiserückkehrer nicht das Virus in Deutschland „einschleppen“ und neue Infektionsketten auslösen.
Da die Bundesregierung fortlaufend überprüft, welche Gebiete in Europa und weltweit als Risikogebiete einzustufen sind, werden auch Sie im Laufe des Augusts festgestellt haben, dass die Liste der Risikogebiete ständig ausgeweitet werden musste, weil die Fallzahlen erneut eklatant zu steigen begannen. So kam es, dass viele Urlauber, die z.B. nach Frankreich oder Spanien aufgebrochen waren, als dort noch alles „safe“ zu sein schien, plötzlich nach ihrer Rückkehr unerwartet getestet wurden und in Quarantäne mussten. Diesen Urlaubern ist ja nun kein bewusstes Eingehen von Gesundheitsgefahren zu unterstellen. Als sie ihre Reise antraten, waren viele Urlaubsziele keine Gebiete mit hohen Infektionszahlen. Für diese – zeitlich befristet auch kostenlosen – Coronatests gab es hohe Zustimmung in der Bevölkerung zur Sommerferienzeit, weil alle besorgt waren, dass – sollten die Urlauber plötzlich diese Tests selbst bezahlen müssen – möglicherweise viele diesen Test versäumt und unbemerkt das Virus wieder in Deutschland verbreitet hätten. Im August war es deshalb so, dass der Bund die Kosten für die Tests übernahm bzw. durch einen erhöhten Zuschuss zur Krankenversicherung kompensiert, den schlussendlich der Steuerzahler tragen wird. Aber eine Dauerlösung war das nach meiner festen Überzeugung von Beginn an nicht: Wer eine Fernreise macht, der sollte auch künftig solche Kosten einkalkulieren müssen.
Bereits gut drei Wochen, nachdem Jens Spahn also diese Verordnung in Kraft gesetzt hatte, einigten sich am 24. August 2020 die Gesundheitsminister aus Bund und Ländern darauf, die Pflichttests wieder abzuschaffen und mit Ende der Rückreisewelle die Kapazitäten wieder stärker im Bereich der Pflege und Krankenhäuser einzusetzen, denn neben der Finanzierung eröffnete sich ein weiteres Problem: Die Testkapazitäten wurden knapp. Daher legten die Gesundheitsminister in Bund und Ländern neue Vorschläge für ein Nachfolgekonzept vor: Demzufolge sollen nach Ende der Sommerferien im ganzen Bundesgebiet (Schlusslicht bei den Sommerferien ist Baden Württemberg Mitte September) die Regeln für die Rückkehr aus Risikoregionen überarbeitet werden. Dabei soll auch die Finanzierung der Tests auf den Prüfstand gestellt werden.
Statt Reisende aus Risikogebieten direkt bei der Einreise zum Test zu verpflichten, solle wieder primär eine Quarantänepflicht greifen. Wer also aus einem solchen Risikogebiet einreist, muss sich wie bisher beim Gesundheitsamt melden und sich in Quarantäne begeben. Diese könne „nur durch ein negatives Testergebnis bei einer Testung nach frühestens fünf Tagen nach Einreise beendet werden“, heißt es in dem Vorschlag. Ich bin gespannt, auf welche abschließenden Regelungen sich die Gesundheitsminister einigen werden.
Ich kann jeden Bürger zu gut verstehen, der aus Vernunftgründen in diesem Jahr auf eine Auslandsreise verzichtet hat. Das gilt übrigens auch für mich ganz persönlich: Ich war mit meinen drei Enkelkindern zwei Wochen an der Nordsee in Schleswig-Holstein.
Mit freundlichen Grüßen
Bettina Hagedorn