Frage an Bettina Hagedorn von Inge R. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Hagendorn,
vor mehr als einem halben Jahr hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass grundsätzlich auch Menschen mit Behinderung, die bei Angehörigen leben und Grundsicherung beziehen, Anspruch auf den vollen Regelsatz haben. Obwohl inzwischen die ausführlichen schriftlichen Entscheidungsgründe zu den Urteilen des Bundessozialgerichtes vorliegen, wird diese Entscheidung derzeit von den Sozialbehörden jedoch noch nicht umgesetzt, sondern weiterhin nur der verminderte Betrag der Regelbedarfsstufe 3 ausgezahlt. Dies wird mit einem Rundschreiben des BMAS begründet.
Vor vier Jahren hatte Ihr Parteikollege Sigmar Gabriel versichert, dass er "das Ziel des vollen Regelsatzes als unumstößlich vereinbart" ansieht und dass "die Verzögerung der Ausführung sind nicht hinnehmbar" sei. Siehe auch Anfragen bei abgeordnetenwatch: http://www.abgeordnetenwatch.de/sigmar_gabriel-778-78116--f430397.html#q430397
Auch Sie hatten vor vier Jahren betont, dass es "eine Schande" sei, "den Regelsatz gerade für diejenigen Menschen zusammenzukürzen, die keine Chance haben, selbst etwas an ihrer Situation zu ändern" und dass dieses Vorgehen mit "Sozialpolitik nichts mehr zu tun" hat: http://www.abgeordnetenwatch.de/bettina_hagedorn-575-38066--f285088.html#q285088
Nachdem inzwischen auch die ausführlichen schriftlichen Entscheidungsgründe zu den Urteilen des Bundessozialgerichtes vorliegen und die Urteile des BSG nach dem seit 2011 (und bis heute) geltenden Recht gesprochen wurden, gibt sind die aktuell laufenden Überprüfungsanträge, Widersprüche und Klagen zubearbeiten. Trotzdem warten viele behinderte Menschen und ihre Familien inzwischen seit über vier(!) Jahren auf die Umsetzung ihrer Rechte.
Wozu wird eine Anweisung von Seiten des BMAS überhaupt noch für notwendig erachtet? Wenn diese notwendig ist, warum wurde diese dann noch immer nicht erlassen? Wann ist mit dieser Anweisung – egal ob nötig oder unnötig - zu rechnen?
Sehr geehrte Frau Rosenberger,
vielen Dank für Ihre Frage zur Regelsatzangleichung von Menschen mit Behinderung, die bei Angehörigen wohnen. Da ich ja vor einigen Jahren zu diesem Thema schon einmal Stellung bezogen habe, möchte ich das natürlich auch hier noch einmal tun. Meine bereits damals geäußerte Meinung, dass die bisherige Regelung ungerecht sei, hat das Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Juli 2014 offenbar bestätigt, so dass den infrage kommenden Personen die Regelbedarfsstufe 1, statt wie bisher die Regelbedarfsstufe 3, zustehen würde.
Nach einem Grundsatzurteil von solcher Tragweite ist es durchaus üblich zunächst die Urteilsbegründung abzuwarten, die im Dezember 2014 eintraf. Insofern hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales dann sofort die Urteilsbegründung auf Schlüssigkeit geprüft und - wie ich erfahren habe - offenbar für sich festgestellt, dass die Gründe nicht vollkommen überzeugend seien. Problematisch ist offensichtlich, dass die vom Gericht eingeforderten Neuregelungen eine mögliche Ungleichbehandlung von Mehrpersonenhaushalten im Vergleich zu Paarhaushalten darstellen, weil bei den ersteren nun nicht mehr die Haushaltsersparnis berücksichtigt werde, bei den letzteren aber schon.
Ich bin zwar nicht Juristin, sehr geehrte Frau Rosenberger, aber für mich ist eine Umsetzung ausgehend von dem Urteil des Bundessozialgerichts folgerichtig. Denn wie das Gericht eindeutig festgestellt hat, "muss typisierend bei familienhaftem Zusammenleben von behinderten und nicht behinderten Menschen, gerade auch beim Zusammenleben von Eltern mit ihren behinderten erwachsenen Kindern, davon ausgegangen werden, dass die hilfebedürftige Person der Regelbedarfsstufe 1 (gemeinsamer eigener, kein fremder Haushalt) unterfällt". Ein fremder Haushalt könne aber nur vorliegen, "wenn bei dem behinderten Menschen entgegen der gesetzlichen Vermutung keinerlei oder nur eine gänzlich unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorläge". Diesen Beweis müsse aber - nach Auffassung des Gerichts - das Sozialamt und nicht der Antragsteller erbringen.
Dem Vernehmen nach plant das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach wichtiger Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung bis Ende März 2015 eine Entscheidung mitzuteilen. Ich hoffe sehr, dass eine entsprechende Umsetzung nun Anwendung findet, wie es vom Bundessozialgericht vor knapp acht Monaten entschieden wurde, damit die zahlreichen Antragsteller ihre rechtmäßigen Ansprüche auf die Regelbedarfsstufe 1 geltend machen können.
Mit freundlichen Grüßen
Bettina Hagedorn