Frage an Bettina Hagedorn von Rainer H. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Hagedorn,
nach Ihrem Abstimmverhalten zu urteilen, ist es Ihnen egal, ob Deutschland für spanische Banken haftet oder nicht.
Sollten Sie nicht die Meinung Ihrer Wähler im Parlament vertreten oder ist es den Bürgern in Ihrem Wahlkreis auch egal (das würde micht schon sehr wundern)?
Was mich allerdings noch mehr Interessiert ist folgendes:
- Haben Sie für die Abstimmung Ihren Urlaub unterbrochen?
- Haben Sie sich für die Teilnahme an der Abstimmung Ihre Unkosten erstatten lassen?
- Falls Sie sich die Unkosten erstatten lassen haben, frage ich Sie, ob Sie kein schlechtes Gewissen haben, Steuergelder so zu verschwenden?
Denn wer sich die Unkosten für die Sondersitzung erstatten lässt und sich dann der Stimme enthält, hätte nicht extra kommen müssen.
Mit freundlichen Gruß
R. Hoppenstedt
Sehr geehrter Herr Hoppenstedt,
vielen Dank für Ihre Fragen zur Sondersitzung des Deutschen Bundestages wegen der Finanzhilfen für Spanien und die Gründe meiner Enthaltung bei dieser Abstimmung.
Für mich persönlich waren es als stellvertretende Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion im Haushaltsausschuss im Übrigen zwei Sondersitzungen: Bereits am 18. Juli hat der federführende Haushaltsausschuss in einer Sondersitzung die Bundestagsdebatte vorbereitet, die dann am 19. Juli mit einer namentlichen Abstimmung stattfand. Richtig ist, dass ich mich bei dieser Abstimmung - begründet durch Informationen, die wir erst im Haushaltsausschuss erhalten haben - enthalten habe. Ich teile Ihre Auffassung allerdings ausdrücklich nicht, dass wer sich enthält, eigentlich nicht hätte extra zu kommen brauchen. Sitzungen des Bundestages sind für mich - wie für alle anderen Abgeordneten auch - Pflichttermine, die aus meiner Sicht zwingend einzuhalten sind; das gilt aus meiner Sicht auch für die Ausschüsse, in denen man Mitglied ist. Ich habe übrigens in den über 10 Jahren meiner Abgeordnetentätigkeit noch nie gefehlt - nicht einmal krankheitsbedingt. Ich bin zu den Sondersitzungen - wie immer - per Zug aus Eutin/Ostholstein angereist, denn statt Urlaub standen Mitte Juli bei mir Wahlkreistermine im Kalender.
Selbstverständlich bedeutet meine Enthaltung NICHT, dass mir die Entscheidung über die Bewilligung von Finanzhilfen an Spanien „egal“ war - wie Sie schreiben. Ganz im Gegenteil: Als langjähriges Mitglied des - für Fragen der europäischen Finanzkrise federführenden - Haushaltsausschusses habe ich mich seit Jahren - auch in zahllosen Expertenanhörungen des Haushaltsausschusses - gemeinsam mit meinen Kollegen aller 5 Fraktionen sehr ausführlich mit der Problematik der EFSF, des ESM, des Fiskalpaktes sowie den Entscheidungen über die Finanzhilfen für Griechenland, Portugal, Irland sowie nun für Spanien befasst.
Ihre Unterstellung, dass „Deutschland für spanische Banken haftet“, ist übrigens falsch: Das beschlossene Darlehen des vorläufigen „Rettungsschirms“ EFSF geht ausdrücklich an den spanischen Staat in Höhe von bis zu 100 Mrd. € (wobei alle Tranchen noch einzeln abgestimmt werden, sobald die Anträge auf dem Tisch liegen - was bisher noch nicht der Fall war) und eben gerade NICHT direkt an die Banken. Spanien selbst soll zwar damit in die Lage versetzt werden, seine infolge der weltweiten Finanzkrise seit 2008 angeschlagenen Banken zu restrukturieren oder abzuwickeln, um weitere unkontrollierte Bankenpleiten - wie die von Lehman Brothers im September 2008 - mit unvorhersehbaren Folgen für Finanzmärkte und Realwirtschaft zu verhindern. Vertragspartner des EFSF ist aber der spanische Staat, der für die Rückzahlung des Darlehens - selbst wenn es in Spanien zu Bankenpleiten kommen sollte - haftet. Das ist auch gut und richtig so, denn die europäischen Rettungsbemühungen sollen und dürfen nicht darauf hinauslaufen, dass die europäischen Steuerzahler pauschal für Fehlspekulationen von Banken in Haftung genommen werden.
Aber auch wenn ich es für richtig halte, Spanien bei der Bekämpfung der Finanzkrise zu unterstützen, habe ich mich nach den eingehenden Beratungen im Haushaltsausschuss am Tag vor der Abstimmung entschieden, dem Finanzhilfe-Antrag der Bundesregierung nicht zuzustimmen. Grund dafür ist, dass mit der von Bundeskanzlerin Merkel ausgehandelten Hilfsvereinbarung auf europäischer Ebene der oben angesprochene Grundsatz, nicht Banken, sondern Staaten zu finanzieren, ein Stück aufgeweicht wird. Denn im von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf für eine Vereinbarung zwischen Spanien und dem EFSF (Übersetzung in der Bundestags-Drs. 17/10321) wird auf die Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Eurogruppe vom 29. Juni 2012 verwiesen, in der vorgesehen ist, nach Errichtung einer gemeinsamen europäischen Bankenaufsicht auch direkte Hilfen für Banken aus dem ESM zu ermöglichen. Diese direkte Bankenrekapitalisierung halte ich und hält die SPD-Bundestagsfraktion für falsch - wir wollen nicht, dass der europäische Steuerzahler den Banken die Haftung für spekulative Anlagen abnimmt. Risiko und Haftung dürfen in einer Marktwirtschaft nicht auseinanderfallen. Deshalb halte ich den von Peer Steinbrück am 25. September 2012 vorgestellten Plan eines bankenfinanzierten Restrukturierungsfonds für richtig und für erheblich gerechter als den Weg zur erneuten Bankenrettung auf den Schultern der Steuerzahler, auf den sich die Bundesregierung eingelassen hat.
Bis heute ist übrigens nicht klar, wie hoch der Finanzbedarf Spaniens tatsächlich ist. Am 19. Juli wurden zwar Finanzhilfen „bis zu 100 Mrd. Euro“ in Aussicht gestellt - Experten gehen allerdings davon aus, dass tatsächlich ein Betrag bis maximal 62 Mrd. Euro realistisch ist. Klar ist, dass das Parlament, das schließlich die Verantwortung für die mögliche finanzielle Belastung des Bundeshaushalts trägt, zunächst präzise darüber informiert werden muss, in welcher Höhe Hilfen wofür konkret benötigt und gewährt werden sollen - das ist bisher nicht geschehen.
Angesichts dieser Unwägbarkeiten konnte ich dem Hilfsantrag am 19. Juli nicht zustimmen. Auf dem Tisch lag nur der von der Bundesregierung (ohne die Mitwirkung der Oppositionsfraktionen!) ausgehandelte Antrag. Änderungen und Korrekturen waren zu diesem Zeitpunkt - leider - nicht mehr möglich. Weil ich aber nicht die europäische Solidarität mit Spanien generell ablehne, sondern nur die in den Vereinbarungen nicht ausgeschlossene direkte Bankenfinanzierung, habe ich nicht gegen den vorgelegten Hilfsantrag gestimmt, sondern mich der Stimme enthalten.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesem Schreiben die Hintergründe meines Abstimmungsverhaltens bei der Entscheidung über die Spanien-Hilfe verständlich machen. Sie können sicher sein, dass ich mich bei keiner der vergangenen und noch folgenden Entscheidungen leichtfertig bzw. voreilig für eine Option entschieden habe und entscheiden werde, sondern stets mein Bestes gebe, um unter Berücksichtigung aller zur Verfügung stehenden Informationen zu einem für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und in Europa guten Ergebnis zu kommen. So sehe ich meine Aufgabe gegenüber den Menschen als gewählte Abgeordnete.
Mit freundlichen Grüßen
Bettina Hagedorn