wie können Sie eine Impfpflicht mit dem Artikel 1 des Grundgesetzes vereinbaren?
Sehr geehrter Herr Herrmann,
wie können Sie eine Impfpflicht mit dem Artikel 1 des Grundgesetzes vereinbaren? Eine Impfung ist ein medizinischer Eingriff in das Immunsystem. Dazu bedarf es der zwanglosen und freiwilligen Einwilligung des Patienten. Eine Impfpflicht widerspricht dem Freiwilligkeit und es entstehen Zwänge. Natürlich hofft man mit einer Impfpflicht Pandemien zu verhindern, jedoch kann und darf das Individualrecht nicht ausgehelbelt werden. Ganz zu Schweigen von den Vertrauensverlusten in die Ärzte, die ja die Patienten zwangsbehandeln müssen. Von dem Problemen mit dem Nürnberger Kodex ganz zu schweigen.
Ich würde mich über eine Rückmeldung mit Ihrer Meinung dazu freuen und hoffe inständig, daß Sie sich gegen eine Impfpflicht entscheiden werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Jens R.
Sehr geehrter Herr R.,
vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihre Meinung.
Bitte haben Sie Verständnis, dass ich auf Grund der hohen Anzahl an Anfragen, die mich zu diesem Thema erreicht haben, nicht auf alles einzeln eingehen konnte. Im Folgenden möchte ich Ihnen meine Position darlegen.
Ich habe bei der Gewissensabstimmung für die geeinte Variante einer Impfpflicht für Personen ab 60 Jahren mit vorgeschalteter Beratungspflicht für Erwachsene ab 18 Jahren, die noch nicht über einen Impf- oder Genesenennachweis verfügen, gestimmt. Diese Entscheidung basierte auf einer genauen Abwägung von gesundheitlichem Nutzen und Risiken.
Dieser Prozess findet in unserer Gesellschaft gerade statt. Gemeinsam mit allen demokratischen Fraktionen im Bundestag haben wir Grünen in den letzten Wochen darüber diskutiert, wie eine allgemeine Impfpflicht für Erwachsene ausgestaltet werden soll.
Ich bin mir bewusst, dass diese Frage in Gesellschaft und Parlament kontrovers diskutiert wurde und auch manche von uns ihre Sichtweise geändert haben. Aus diesem Grund gibt es im Bundestag ein Verfahren, das der Tragweite dieses Beschlusses gerecht wird. Es gibt sogenannte Gruppenanträge, die das Für und Wider sowie die Ausgestaltung der Impfpflicht über die Parteilogiken hinweg debattieren. So können auch wichtige Gegenargumente in der Debatte ihren Platz finden. Diese Entscheidung sollte als starkes Signal für den Zusammenhalt in der Gesellschaft von einer möglichst breiten Mehrheit im Bundestag getragen werden.
Die freie Entscheidung für oder gegen eine Impfung kann nach meiner Überzeugung nur so lange jedem Einzelnen überlassen werden, solange damit keine Gefährdung anderer Menschen einhergeht.
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Impfung nicht nur ein effektives, sondern auch ein verhältnismäßig mildes Mittel der Pandemiebekämpfung ist. Die beobachteten Nebenwirkungen sind (trotz exzellenter Datenlage aufgrund der hohen Anzahl an Impfungen und der strengen
Nachverfolgung) gering, wie die Berichte des Paul-Ehrlich-Instituts Monat für Monat zeigen. Zudem wurden die Impfstoffe auf der ganzen Welt millionenfach verimpft, und dabei kam es nur zu sehr wenigen Komplikationen, die durch eine Impfung ausgelöst wurden. Bezüglich der Wirkung war absehbar, dass es Impfdurchbrüche geben wird und auch nicht jeder schwere Verlauf verhindert werden kann. Doch die überwiegend große Mehrheit der Geimpften wird vor einer schweren Erkrankung bewahrt.
Eine allgemeine Impfpflicht ist kein Impfzwang. Ein Zwang zur Impfung wäre rechtlich nicht zulässig. Angesichts des dramatischen Verlaufs der Corona-Pandemie ist dieser Eingriff gegenüber immer wiederkehrenden Lockdowns, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen, mit starken Kontaktbeschränkungen und gravierenden Folgen insbesondere für Kinder, aber auch ökonomischen Konsequenzen aus meiner Sicht, das verhältnismäßig mildere Mittel der Pandemiebekämpfung.
Bei der Abwägung muss die Pandemie-Entwicklung berücksichtigt werden. Und auch die Umsetzung ist ein wichtiges Thema.
Die Entscheidung zur Impfpflicht erforderte eine schwierige, wahrhaft gewissenhafte Abwägung. Mir waren und sind dabei der Schutz der Gesundheit, der Freiheitsrechte, insbesondere aber auch unserer Kinder, Älterer und gesundheitlich vorbelasteter Menschen besonders wichtig. Solidarisches Verhalten in den Vordergrund zu stellen, wird für mich auch weiterhin entscheidend sein.
Ich persönlich habe den Antrag für eine verpflichtende Impfberatung für Erwachsene ab 18 Jahren, die noch nicht über einen Impf- oder Genesenennachweis verfügen und eine altersbezogene Impfpflicht ab 60 Jahren, unterstützt. Meines Erachtens nach wäre dies eine geeignete Variante zur Vorsorge für weitere Corona-Wellen gewesen, aber auch so gilt es das Ergebnis der demokratischen Abstimmung im Bundestag anzuerkennen und damit weiterzuarbeiten.
Ich hoffe, Ihnen meine Position nachvollziehbar dargelegt zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Bernhard Herrmann