Frage an Beate Müller-Gemmeke von Rainer L. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Müller-Gemmeke,
wie ist Ihre Meinung zum bedingungslosen Grundeinkommen?
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Locke
Sehr geehrter Herr Locke,
herzlichen Dank für Ihre Frage. In meiner Partei Bündnis 90/ Die Grünen gibt es bisher keine einheitliche Meinung zu diesem Thema. Ich bin aber eine Anhängerin von einem bedingungslosen Grundeinkommen. Wenn Politik mehr sein soll als Korrekturen und Anpassungen. Wenn Politik stattdessen gestalten will, dann brauchen wir Perspektiven, die die Richtung für die Zukunft vorgeben. Das Grundeinkommen ist für mich solch eine Perspektive, die wir heute vorbereiten müssen, damit sie morgen zur Politik werden kann.
Zwei Gründe sind für meine Haltung maßgeblich:
1. Die derzeitige Ausgestaltung von Hartz IV ist nicht mit meinen Vorstellungen einer Grundsicherung vereinbar. Das Arbeitslosengeld II liegt unter dem Existenzminimum und es gibt ein offensichtliches Ungleichgewicht zwischen Fördern und Fordern. Mit den Hartz-Reformen ist bei den Menschen das Gefühl sozialer Sicherheit nicht gewachsen, sondern ganz im Gegenteil gesunken. Langzeitarbeitslosigkeit hat sich verfestigt.
2. Von Armut sind nicht nur Erwerbslose betroffen. Besorgniserregend ist für mich vor allem die steigende Armutsquote von Beschäftigten. Zu viele Menschen arbeiten und sind dennoch arm.
Armut entsteht durch den Wandel in der Erwerbsarbeit. Im Moment gibt es zwar viele Arbeitsplätze, aber viele sind schlecht bezahlt, unsicher oder umfassen zu wenig Stunden. Arbeit wird mittlerweile anders organisiert und wie sich die Digitalisierung auswirkt, weiß noch niemand. Sicher ist aber, dass die Vorstellung eines ununterbrochenen Erwerbsverlaufs bis zum Renteneintritt der Vergangenheit angehört. Zu viele Menschen leben in prekären Lebensverhältnissen und haben unstete Berufsbiografien. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Zukunftsfähigkeit unseres Sozialsystems und wie Lebensrisiken zukünftig abgesichert werden können.
Die Erhöhung des bedarfsgeprüften Arbeitslosengelds II auf eine existenzsichernde Höhe ist für mich langfristig nicht die Lösung. Die Zahl der Bedürftigen würde sich damit erhöhen und ebenso die notwendige Bürokratie. Aber die verdeckt Armen würden wir damit weiterhin nicht erreichen. Ein Grundeinkommen - gekoppelt mit einem Mindestlohn – hingegen wäre eine wirkliche Perspektive. Alle Menschen würden das Grundeinkommen bedingungslos und unbürokratisch erhalten – und Menschen in besonderen Lebenslagen zusätzlich weitere Leistungen und Unterstützungsangebote. Durchführbar wäre das mit dem Prinzip der negativen Einkommensteuer. Damit könnten wir die Spaltung zwischen Arm und Reich ein Stück weit überwinden.
Mein Fazit ist also: In einer sich verändernden Arbeitswelt sind neue Konzepte notwendig. Entstehen neue Anforderungen, dann braucht es den Mut zu neuem Denken. Ein Grundeinkommen würde auf vielfältige Problemlagen reagieren, zur effektiven Armutsbekämpfung beitragen und die gesellschaftliche Verteilungsgerechtigkeit erhöhen. Letztlich geht es dabei auch um ein traditionell gewerkschaftliches Kernanliegen, nämlich um die Emanzipation und die Würde des Menschen. Ein Grundeinkommen sehe ich als Möglichkeit, die Rechte von Beschäftigten zu stärken. Ist ein Mindestmaß an existentieller Absicherung gesichert, dann sind Beschäftigte weniger erpressbar und können so besser für fair entlohnte Arbeitsverhältnisse und gute Arbeitsbedingungen eintreten.
Noch ist ein bedingungsloses Grundeinkommen eine Vision. Aber es ist eindeutig eine Perspektive, über die sich eine gesellschaftliche Debatte lohnt. Immerhin geht es dabei um Gerechtigkeit und um eine emanzipative Sozialpolitik. Deshalb werde ich mich weiter in die gesellschaftliche Diskussion um ein Grundeinkommen einmischen und auch dafür streiten.
Mit freundlichen Grüßen
Beate Müller-Gemmeke