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Aydan Özoğuz
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Frage von Jan-Timo S. •

Wo finden sich in dem, von Ihnen mit entwickelten, Leitbild unter dem Titel "Miteinander in Vielfalt" Aspekte wie Gemeinsinn oder Gemeinwohl, die in einer Demokratie unabdingbar sind?

Sehr geehrte Frau Özoğuz,

etwas irritiert stieß ich vor einiger Zeit auf das oben genannte Leitbild aus dem Jahr 2017 und frage mich, wie sie einen Herrn Jaschke so verkürzt wiedergeben können. Die Reduktion des Zitates auf S.16 grenzt schon an eine bewusste Verkürzung bzw. Verfälschung. So kürzen Sie die Ausführungen Jaschkes um den Zusatz des Gemeinsinns und Gemeinwohls. Ab Seite 6f. heißt es etwa bezüglich der gelebten Werte "dass die Menschen [...] ein nicht näher bestimmbares Mindestmaß an Zusammenhalt selbst generieren. Hier [...] ist der Ort, an dem so etwas wie Gemeinsinn oder Gemeinwohlorientierung entstehen und sich verfestigen kann und muss."

Ohne diesen Mindestkonsenz an Gemeinwohlorintierung verkommt ein Zusammenleben in demokratischen Gesellschaften zu einem Nebeneinander, in dem die Unterschiede stets hervorgehoben werden. Denn Integration lässt sich eben auch an der Beteiligung an gesellschaftlichen Funktionssystemen messen, deren Zugang nur über Assimilation gelingt.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr S., 

vielen Dank für Ihre Nachricht, auf die ich Ihnen gerne antworte. Die Frage, wie ein gutes Zusammenleben in unserer Einwanderungsgesellschaft aussehen kann, beschäftigt die SPD-Bundestagsfraktion – und auch mich persönlich – schon seit Langem. In meiner Zeit als Staatsministerin für Migration, Flucht und Integration war ich deshalb z.B. Vorsitzende einer 38-köpfigen Kommission, die 2017 im Auftrag der Friedrich- Ebert-Stiftung das von Ihnen erwähnte Leitbild „Miteinander in Vielfalt“ entwickelte. 

Einen Anspruch auf Vollständigkeit erhob das Leitbild ausdrücklich nicht. Eine wichtige Erkenntnis war jedoch, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt dort besonders stark ist, wo er aus einem aktiven Zusammenleben entsteht. Dafür braucht es Orte und Möglichkeiten der Begegnung, des persönlichen Austauschs, des Miteinanders. Denn so wächst Vertrauen und so werden Vorurteile abgebaut. Zugleich betonte die Kommission, dass Politik und Verwaltung den Zusammenhalt aktiv fördern können. 

Diese Beobachtungen baute das Leitbild, wie Sie anmerkten, auf der Definition von gesellschaftlichem Zusammenhalt des Politikwissenschaftlers Hans-Gerd Jaschke auf, welche er 2009 in dem Gutachten „Bedingungsfaktoren des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ im Auftrag des Bundesministeriums des Innern formulierte. Das Leitbild verwies zunächst auf Jaschkes Definition, um herauszustellen, dass es sich bei gesellschaftlichem Zusammenhalt um einen fluiden Prozess und nicht um einen statischen Zustand handelt (S. 16.). Im anschließenden Absatz arbeitete das Leitbild dann heraus, auf welchen Pfeilern gesellschaftlicher Zusammenhalt basiert: »Dieser [der gesellschaftliche Zusammenhalt] wird nach Jaschke „getragen von sozialmoralischen, lebensweltlichen kollektiven Einstellungen und Verhaltensweisen: Vertrauen in Verfassung, Institutionen und soziale Infrastruktur, Engagement für das Gemeinwohl, politische Beteiligung und Konfliktbereitschaft nach demokratischen Spielregeln.“ « Jaschkes Definition wurde hier also nicht intentional gekürzt, sondern lediglich in seine einzelnen Argumentationsbestandteile zerlegt. 

Ich bin überzeugt: Unsere Demokratie kann nicht allein vom Staat und den politischen Entscheidungsträger:innen getragen werden. Sie benötigt eine lebendige und engagierte Zivilgesellschaft, die Solidarität und Vertrauen fördert. Daran sollten alle Menschen, die hier leben wollen, aktiv mitwirken. Deshalb darf sich die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts nicht allein an Einwander:innen richten, sondern muss die gesamte Gesellschaft in den Blick nehmen. Im Jahr des 75. Geburtstages des Grundgesetzes gilt es, unsere Freiheit, Demokratie und die Menschen, die darin leben, zu schützen – denn sie steht zunehmend unter Druck, auch von innen. Als SPD-Bundestagsfraktion sagen wir Extremismus und anderen Bedrohungen den Kampf an – mit besserer Demokratieförderung, einer resilienteren Verfassung und wirksamer Strafverfolgung. 

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen. 

Mit freundlichen Grüßen 

Aydan Özoğuz

 

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