Warum fordern Sie nicht einen sofortigen Stopp der Waffenlieferungen an Israel sowie einen Waffenstillstand im Krieg gegen das palästinensische Volk?
Am Tag nach der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs, alle Behauptungen Südafrikas, Israel begehe Völkermord, seien plausibel, beschuldigte Israel einige Mitarbeiter der UNWRA, an den Anschlägen vom 7. Oktober beteiligt gewesen zu sein. Was hat Deutschland getan, bevor es auf eine unabhängige Untersuchung gewartet hat? Die Finanzierung wurde sofort eingestellt, als die Menschen sie am meisten brauchten. Ich bin absolut empört und entsetzt über die Reaktion Deutschlands und seine Doppelmoral. Es ist völlig klar, dass sich die deutsche Regierung wenig um das Leben der Palästinenser schert. Wo ist die Menschlichkeit? Jeden Tag wache ich auf und frage mich, was nötig ist, damit Länder mit Einfluss auf die israelische Regierung ihre Stimme erheben. Dies geschieht nicht in meinem Namen, für mich gelten die Menschenrechte für alle Menschen.
Sehr geehrte Frau W.,
haben Sie herzlichen Dank für Ihre Nachricht.
Ich teile Ihre Sorge um die Entwicklung des Konfliktes sowie das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza. Möglicherweise haben Sie in verschiedenen Medien gesehen, dass am 6. Dezember 2023 ein Gastbeitrag von mir im Tagesspiegel veröffentlicht wurde, sowie auch die gemeinsame Aufforderung mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag, den USA und Kanada am 18. Januar 2024 zu einem Waffenstillstand.
Die furchtbaren Angriffe der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 sind durch nichts zu rechtfertigen. Das israelische Vorgehen in Gaza trifft aber hauptsächlich die Zivilbevölkerung und hat bereits zehntausende Opfer gefordert. Es zeichnet sich leider nicht ab, dass Israel unter der Regierung Benjamin Netanjahus von selbst die Waffen ruhen lassen wird.
Die humanitäre Situation in Gaza ist katastrophal. Zudem ist zu befürchten, dass dieser Krieg nur noch mehr Hass in den Köpfen vieler Menschen schürt, was eine Zwei-Staaten-Lösung in weite Ferne rücken lässt.
Die Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung mit humanitären Gütern – auf dem Landweg, aus der Luft und übers Meer – ist ein Anliegen, das mir sehr wichtig ist. Wir dürfen die vielen Bedürftigen nicht allein lassen.
Die Aktivitäten von UNWRA werden sehr genau überprüft und unterliegen einem fortlaufenden Monitoring. Klar ist: Die UNWRA ist in der Region unverzichtbar und unersetzbar. Eine kollektive Strafe gegenüber zwei Millionen Menschen darf auch nicht sein. Deutschland wird seine humanitären Hilfen selbstverständlich fortsetzen. Die Auszahlung neuer Gelder an UNWRA war einige Wochen lang eingefroren, jedoch hat die Bundesregierung bereits im März – während der Überprüfungsphase der Arbeit UNWRAs in Gaza – wieder 45 Millionen Euro für regionale Arbeit in Jordanien, Libanon, Syrien und im Westjordanland zur Verfügung gestellt.
Inzwischen wurde der Bericht der Independent Review Group unter Leitung der ehemaligen französischen Außenministerin Caterine Colonna veröffentlicht, der viele der Vorwürfe an UNWRA entkräftet. Auf dieser Basis haben sich das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung entschieden, die Unterstützung UNWRAs in vollem Umfang fortzusetzen.
Klar ist: Die Lage der Zivilbevölkerung, aber auch der humanitären Helfer vor Ort bleibt extrem schwierig. Die Grenzübergänge werden mal geöffnet, mal geschlossen. Aber wir setzen uns weiter intensiv für die Bereitstellung von Hilfsgütern ein.
Mit freundlichen Grüßen
Aydan Özoğuz