Vertreten Sie immer noch die Auffassung, eine "spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache nicht identifizierbar"?
Sehr geehrte Frau Özoguz, vertreten Sie immer noch o.g. von Ihnen getätigte Auffassung, obwohl doch die deutschsprachigen Leistungen auf den Gebieten der Musik und Wissenschaft dem entgegen stehen?
Sehr geehrter Herr H.,
herzlichen Dank für Ihre Nachricht, die mir die Gelegenheit gibt, mögliche Missverständnisse aufzuklären, die im Zusammenhang mit meinen Ausführungen zum Thema „Deutsche Leitkultur“ bei Ihnen leider entstanden sind.
Den Ausgangspunkt bildet ein am 14. Mai 2017 im Tagesspiegel veröffentlichter Debattenbeitrag, der die damals neu aufgebrachte Leitkultur-Diskussion aufgriff. In diesem Kontext ist auch die von Ihnen zitierte Teilpassage einzuordnen. Das Problem ist, dass kaum einer den ganzen Text kennt, sodass der Satz immer wieder aus dem Zusammenhang gerissen und verdreht wird.
Als hätte ich gesagt, dass es keine deutsche Kultur gebe. Das ist natürlich vollkommener Unsinn – ich bin selbst mit deutscher Kultur aufgewachsen.
Stattdessen habe ich beschrieben, dass es schwierig sein dürfte, eine Leitkultur für jede und jeden Einzelnen definitorisch sicher einzugrenzen und genau vorzugeben, wer oder was dazugehört und wer oder was nicht. Das wäre im Übrigen auch ein ziemlich autoritärer Ansatz, den wir hoffentlich längst überwunden haben.
Nicht erst im 21. Jahrhundert - nach hohen Einwanderungs- und Flüchtlingszahlen - hat man sich darüber Gedanken gemacht, was eigentlich typisch Deutsch ist.
„Es kennzeichnet die Deutschen, dass bei Ihnen die Frage ‚Was ist deutsch‘ nie ausstirbt.“ Das sagte der Philosoph Friedrich Nietzsche vor über 130 Jahren, nämlich 1886. Es gibt wahrscheinlich kaum ein anderes Volk, das sich so intensiv, so fragend und nachdenklich damit auseinandersetzt.
Natürlich ist die deutsche Geschichte, speziell im Kontext der Nationalstaatsbildung, reich an kulturhistorischen Bezugspunkten, die das Zusammengehörigkeitsempfinden der Bevölkerung geprägt und vertieft haben, die Zusammenhalt stiften. Ebenso sicher ist, dass es Persönlichkeiten und die von ihnen hinterlassenen Werke gibt, die nationale Kulturgüter darstellen und wohl von den meisten Deutschen und auch von mir als Bezugspunkte ihres Denkens und Empfindens gesehen werden.
Dass es in meinem Diskussionsbeitrag letztlich immer um den Begriff der Leitkultur ging, habe ich zwischenzeitlich immer wieder und auch öffentlich klargestellt. Darauf verweist schon der Folgesatz im damaligen Beitrag: „Schon historisch haben eher regionale Kulturen, haben Einwanderung und Vielfalt unsere Geschichte geprägt.“
Mit freundlichen Grüßen
Aydan Özoğuz