Frage an Aydan Özoğuz von Heike R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Özoguz,
ich habe eine Frage zur Auslegung des Völkerrechts.
Als die DDR gegründet wurde, haben die politisch Verantwortlichen dieser Diktatur Unrecht begangen und vollendete Tatsachen geschaffen. Sie haben große Enteignungen vorgenommen, gegen die sich damal niemand wehren konnte. Nach dem Ende der DDR Diktatur wurde dieses Unrecht beseitigt.
Der russiche Diktator Chrustschow (ein Ukrainer!) hat als Parteichef nach Stalin widerrechtlich, auch völkerrechtswidrig, die ehemals russiche Krim der Ukraine "geschenkt". Widerspruch in dieser damaligen Diktatur war nicht möglich.
quelle: https://www.welt.de/geschichte/article125628675/Und-ploetzlich-gehoerte-die-Krim-zur-Ukraine.html
Gewalt sollte nie ein Mittel für Konfliktlösung sein. Aber ist es völkerrechtlich nicht sehr fragwürdig, wenn ein Diktator Fakten schafft und diese, nach der Diktator nicht wieder revidiert werden dürfen? Der ukrainische "Anspruch" auf die Krim basiert doch einzig auf dem Handeln seines seinerzeit unantastbaren Diktators Chrustchow (Ukrainer).
Ich missbillige die militärische Annektion der Krim, sehe aber ein legitimes Recht der Russen, begangenes Unrecht zu korrigieren und nicht zu manifestieren.
Darf begangenes Unrecht über eine Zeitspanne zu Recht verklärt werden ?
Warum immer nur eine reflexartig völlig einseitige Bewertung durch unsere derzeitige CDU/SPD Regierung, die strategische Partner weit "schonender" anders als strategische Gegner bewertet (so meine Sicht der Dinge)? Darf man das Völkerrecht so beugen?
Warum unterstützen wir die Russen nicht dabei, dass begangene Unrecht zu korrigieren und die Krim an Russland zurück zu geben, wie es vor dem Diktorenentscheid des Ukrainers Chrustschows rechtens war?
Mit freundlichem Gruß
H. R.
Sehr geehrte Frau Rogall,
die Ereignisse rund um den Übergang der Krim ins Hoheitsgebiet der Ukrainischen SSR im Jahr 1954 sind umstritten und nicht besonders gut dokumentiert (das beschreibt ja auch der von Ihnen angeführte Artikel). Auch die Frage, ob Chruschtschow allein und nicht rechtens über die Abgabe der Krim entschieden hat, wird unterschiedlich eingeschätzt. So kommt die Bundeszentrale für politische Bildung in einer Analyse von 2015 (https://www.bpb.de/internationales/europa/russland/analysen/202223/analyse-geschichtspolitik-statt-voelkerrecht-anmerkungen-zur-historischen-legitimation-der-krim-annexion-in-russland) zu folgendem Schluss:
„Tatsächlich hat die internationale Forschung nach 1991 aber nachweisen können, dass die Übergabe kaum als ein einsamer Willkürakt Chruschtschows angesehen werden kann und bei der Entscheidung zur Herstellung einer direkten Landverbindung zum ukrainischen Hinterland sehr wahrscheinlich ökonomische und infrastrukturelle Faktoren den Ausschlag gaben. […] Die Übergabe der Krim war sicherlich keine einsame Entscheidung Chruschtschows: Zwischen 1953 und 1956 war dieser noch nicht der unangefochtene alleinige Führer des sowjetischen Staates. Eine solche Entscheidung musste daher kollegial getroffen werden.“ Zudem wird darauf hingewiesen, dass unabhängig von den Debatten über diesen Schenkungsvorgang „die Russische Föderation nach 1991 die Grenzen der Ukraine samt der Halbinsel Krim als Teil der Ukraine in mehreren völkerrechtlich verbindlichen Verträgen vom russisch-ukrainischen "großen Freundschaftsvertrag" im Jahre 1997 bis zu den – erst 2010 erneuerten – Abkommen über die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte anerkannt und im Budapester Memorandum 1994 garantiert hat.“
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in einer Ausarbeitung von 2014 (https://www.bundestag.de/resource/blob/412072/0920d1198f5c3da73bf9f2f28c48dfcd/WD-3-067-14-pdf-data.pdf) eine vorläufige Einschätzung der Rechtslage vorgenommen, der diese Argumentation bestätigt. Darin heißt es: „Nach den vorliegenden Quellen scheint die Übertragung des Gebietes der Krim an die Ukrainische SSR formell verfassungsgemäß erfolgt zu sein. […] Selbst wenn man von der formellen Rechtswidrigkeit der Übertragung der Krim von der RSFSR auf die Ukrainische SSR im Jahre 1954 ausgeht, hätte die RSFSR und ihr Rechtsnachfolger Russische Föderation durch völkerrechtliche Verträge die daraus hervorgegangenen Grenzen der Ukraine, die das Gebiet der Krim umschlossen, anerkannt. […]Die Krim gehörte im März 2014 demnach zum Staatsgebiet der Ukraine.“
Auf dieser Sichtweise fußt auch die Ansicht der SPD, dass es sich bei der Eingliederung der Krim in das Territorium Russlands um einen völkerrechtswidrigen Akt gehandelt hat. Hierin sehe ich auch keine „einseitige Bewertung“ sondern eine Positionierung gemäß dem geltenden Völkerrecht.
Mit freundlichen Grüßen
Aydan Özoguz