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Aydan Özoğuz
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Frage von Jonas B. •

Frage an Aydan Özoğuz von Jonas B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Özogus,

Mit großem Erstaunen habe ich von dem durch den Bundestag im Mai verabschiedeten Gesetzentwurf zur Neuregelung des elektronischen Personalausweises gelesen. In dem Vorhaben eingeschlossen ist eine Erweiterung der Rechte von Polizei und anderen Behörden, welche in Zukunft automatisiert zur Erfüllung ihrer Aufgaben Zugriff auf die biometrischen Passbilder aller Bundesbürger haben sollen.

Kombiniert mit dem technischen Fortschritt im Bereich der Gesichtserkennung ist dieses Vorhaben für mich erschreckend. Es ermöglicht ohne nähere parlamentarische Kontrolle eine Totalüberwachung des öffentlichen Raums in bisher völlig unvorstellbarem Ausmaß. Da jeder Bürger de facto ein Ausweisdokument benötigt, gibt es keine Möglichkeit, sich diese in absehbarer Zukunft aus Pilotprojekten wie dem Berliner Südkreuz entwickelnden Überwachung zu entziehen. Stellungnahmen der geladenen Experten im Bundestag sowie weiterer Gremien sind bei der Abstimmung über dieses Vorhaben scheinbar vollkommen ignoriert worden.

Aus der bereits weiter fortgeschrittenen Videoüberwachung des öffentlichen Raumes, wie sie beispielsweise in Großbritannien bereits Realität ist weiß man, dass solche Vorhaben für die öffentliche Sicherheit und das Verhindern von Straftaten nicht sehr effektiv sind. Hierfür eine Aushöhlung der Persönlichkeitsrechte eines jeden Einzelnen in Kauf zu nehmen, halte ich für inakzeptabel - gerade wenn Zugriffsgründe auf solch hochsensible Daten selbst Lappalien wie einfache Verkehrsdelikte sein können.

Wo Daten gespeichert werden, werden scheinbar auch leider immer Begehrlichkeiten geweckt. Schade, dass sich die Befürchtungen, welche teils bereits bei der Einführung des biometrischen Personalausweises geäußert würden, jetzt in einem solchen Ausmaß bestätigen.

Ich würde mich über eine Stellungnahme Ihrerseits sehr freuen.

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Sehr geehrter Herr B.,

vielen Dank für Ihre Frage.

Entgegen mancher Behauptung wurde mit dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises keine zentrale Datenbank für biometrische Passbilder beschlossen. Die Personalausweisregister werden weiterhin von den Personalausweisbehörden, die Passregister von den Passbehörden geführt. Es bestand schon bislang für Polizei- und Ordnungsbehörden, die Steuerfahndungsstellen der Länder sowie die Behörden der Zollverwaltung die Möglichkeit, bei der zuständigen Behörde einen Lichtbildabruf zu beantragen. In Fällen, in denen die Anfrage außerhalb der behördlichen Öffnungszeiten erfolgte, konnte das Lichtbild automatisch abgerufen werden. Mit dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises wurde die Rechtsgrundlage für einen grundsätzlichen automatisierten Lichtbildabruf für die Polizeibehörden des Bundes und der Länder, das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Verfassungsschutzbehörden der Länder, den Militärischen Abschirmdienst, den Bundesnachrichtendienst, die Steuerfahndungsdienststellen der Länder, den Zollfahndungsdienst und die Hauptzollämter – nicht für die Ordnungsbehörden - eingeführt. Der automatisierte Abruf ist erforderlich, weil die Identitätsüberprüfung von Personen durch die Sicherheitsbehörden auf der Grundlage von Lichtbildern aus Gründen der Gefahrenabwehr sehr schnell und rund um die Uhr sicherzustellen ist. Der bisherige Zwischenschritt, der sicherheitsrelevante Verzögerungen verursachen kann, entfällt nun. In der SPD-Bundestagsfraktion hätten wir uns auch eine Beibehaltung der vorherigen Rechtslage vorstellen können, wir erkennen aber mit der gefundenen Kompromisslösung das gestiegene Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger sowie die veränderte Sicherheitslage an. Uns liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Regelung zu privaten oder kommerziellen Zwecken missbraucht werden könnte.

Abgesehen davon, habe ich persönlich aber viel Verständnis für Ihre Bedenken, was die Verwendung von Gesichtserkennungstechniken im öffentlichen Raum anbelangt. Bei dem von Ihnen erwähnten Projekt am Bahnhof Berlin Südkreuz handelt es sich um ein Testprojekt, an dem das Bundesinnenministerium, die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt beteiligt sind. Der Testbereich ist in deutscher und englischer Sprache beschildert, damit er umgangen werden kann. Ob diese Maßnahme jedoch ausreicht, um auszuschließen, dass nicht auch Personen erfasst werden, die dies nicht wollen, ist zumindest anzuzweifeln. Bislang gibt es keine Rechtsgrundlage für den Einsatz derartiger Technologien außerhalb solcher Testszenarien. Bei neuen Technologien in diesem Kontext muss technisch und rechtlich genau geprüft werden, inwiefern sie einerseits zu einem wirklichen Sicherheitsgewinn beitragen können, andererseits aber mit dem Datenschutz und den grundgesetzlich garantierten Persönlichkeitsrechten vereinbar sind. Es bedarf einer sorgfältigen Prüfung, welche rechtlichen Absicherungen der Einsatz solcher Technologien erfordert. Die Bewertung muss auch ethische Fragen aufgreifen, z.B. wie es eine Gesellschaft verändert, wenn es immer schwieriger wird, sich in der Öffentlichkeit anonym und frei zu bewegen. Der SPD ist bewusst, dass „Technik zur Verhaltenserkennung und Identitätsfeststellung“ eine andere Qualität hat als „allgemeine“ Videoüberwachung. Wenn über den Einsatz solcher Technologien nachgedacht wird, müssten angesichts der Reichweite des Eingriffs in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und angesichts der Herausforderungen dieser neuen Technologien rechtliche Hürden entsprechend hoch angesetzt sein.

Mit freundlichen Grüßen

Aydan Özoğuz, MdB

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