Portrait von Aydan Özoğuz
Aydan Özoğuz
SPD
83 %
49 / 59 Fragen beantwortet
Frage von Katharina M. •

Frage an Aydan Özoğuz von Katharina M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Özoguz,

aufgrund der aktuellen Flüchtlings-/Asyl/PEGIDA Debatte habe ich eine einzige Frage an Sie:

Nach einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage des Bundestagsvizepräsidenten Johannes Singhammer (CSU) leben in Deutschland 600.000 abgelehnte Asylbewerber (Quelle: http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2015-01/32606174-600-000-abgelehnte-asylbewerber-in-deutschland-003.htm ).

Die Frage: Weshalb wird so eine große Anzahl an abgelehnten Asylbewerbern nicht abgeschoben?

Es gibt ein Riesenaufschrei, es gibt eine massive Not an Unterkünften. Die Zustände dort seien Menschenunwürdig und die Betreuung schlecht, Mitarbeiter (etwa beim Kinder und Jugendnotdienst Hamburg) überfordert. Dabei haben 2014 "nur" ca. 200.000 Menschen einen Asylantrag gestellt. Würde man die 600.000 abgelehnten Bewerber rückführen stünden ausreichend Plätze zur Verfügung und es wäre eine viel bessere Austattung und Betreuung der wirklich bedürftigen Flüchtlinge möglich. So eine Zahl ohne weitere Erklärung führt unweigerlich zu Unmut der Bevölkerung. Daher erbitte ich Aufklärung in der gestellen Frage.

Mit freundlichen Grüßen
Katharina Müller

Portrait von Aydan Özoğuz
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Müller,

vielen Dank für Ihre Mail. Der von Ihnen herangezogene Artikel beschreibt den Sachverhalt nicht differenziert genug. Die Zahl von etwa 600.000 abgelehnten Asylbewerbern in unserem Land ist nicht als absolut zu verstehen.

Auf eine Nachfrage bezüglich der beim Bundesinnenministerium erfragten Zahl hin, schreibt mein Bundestagskollege Herr Singhammer auf www.abgeordnetenwatch.de: „Nach Auskunft des Bundesinnenministeriums sind insgesamt im Ausländerzentralregister aktuell mehr als 600.000 Ausländer erfasst, die im Verlauf der letzten Jahre oder Jahrzehnte ein Asylverfahren erfolglos durchlaufen haben oder deren Flüchtlingsschutz zwischenzeitlich widerrufen / zurückgenommen wurde oder erloschen ist, die aber gleichwohl in Deutschland leben.“

Das bedeutet: Die Zahl von 600.000 Personen steht nicht für 600.000 derzeit „illegal“ in Deutschland lebende oder abzuschiebende Personen. Diese – wohlbemerkt im Verlauf der letzten Jahrzehnte – abgelehnten Asylbewerber können zum Beispiel aufgrund einer Duldung oder einem daraus nach Jahren hervorgehenden Aufenthaltstitel inzwischen rechtmäßig in Deutschland leben. Sie können Deutschland aber auch mittlerweile wieder verlassen haben, obwohl sie noch im Ausländerzentralregister vermerkt sind. Im allgemeinen Datenbestand des AZR sind nämlich die Daten der Ausländer gespeichert, die nicht nur vorübergehend (mindestens 3 Monate) im Inland leben oder gelebt haben (siehe: http://www.bva.bund.de/DE/Themen/Sicherheit/Auslaenderzentralregister/auslaenderzentralregister-node.html ).

Ich möchte an dieser Stelle gerne kurz erläutern, weshalb ein abgelehnter Asylantrag in Deutschland auch nicht zwingend die sofortige Ausreise bzw. Abschiebung bedeuten muss. Auch bei einem abgelehnten Asylgesuch kann eine Anerkennung als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder eine Zuerkennung subsidiären Schutzes erfolgen. Die verschiedenen Einstufungsmöglichkeiten im Rahmen eines Asylverfahrens sind in der Broschüre „Das deutsche Asylverfahren - ausführlich erklärt“ vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sehr gut dargelegt ( http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Broschueren/das-deutsche-asylverfahren.pdf?__blob=publicationFile ).

Sollte keine der genannten Schutzansprüche vorliegen, können dennoch Abschiebehemmnisse vorliegen. Hierbei wird dann von Geduldeten gesprochen. Die Duldung ist nach der Definition des deutschen Aufenthaltsrechts eine „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“ von ausreisepflichtigen Ausländern. Sie stellt keinen Aufenthaltstitel dar und begründet daher auch keinen rechtmäßigen Aufenthalt. Die Duldung dient ausschließlich dazu, dem Ausländer zu bescheinigen, dass er ausländerbehördlich registriert ist und von einer Durchsetzung der bestehenden Ausreisepflicht für den genannten Zeitraum abgesehen wird. Der Aufenthalt eines Ausländers wird mit der Duldung zwar nicht rechtmäßig, jedoch entfällt mit der Duldung eine Strafbarkeit wegen illegalen Aufenthalts. Die Duldung erlischt mit der Ausreise des Ausländers und berechtigt nicht zur Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland. Derzeit leben in Deutschland gut 100.000 Geduldete.

Viele der geduldeten Personen können weder freiwillig ausreisen noch abgeschoben werden, da sie keinen Pass besitzen, ihre Herkunft bzw. Staatsangehörigkeit nicht zweifelsfrei geklärt ist oder weil in ihren Heimatländern nach wie vor Krieg herrscht. Auch humanitäre Gründe wie eine vorliegende Schwangerschaft oder gesundheitlich bedingte Reiseunfähigkeit können zu einer Duldung führen. Dieser Zustand des „auf gepackten Koffern leben“ kann sich über Jahre fortsetzen. Jahre, in denen häufig eine feste Bindung der Betroffenen an Deutschland entsteht, in denen Kinder zur Schule gehen, in denen die Personen arbeiten und ein soziales Umfeld aufbauen. Deshalb hat die Bundesregierung Ende vergangenen Jahres einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Geduldeten nach langjährigem Aufenthalt ein Bleiberecht ermöglichen soll. Nach einem achtjährigen Aufenthalt soll künftig ein Bleiberecht gewährt werden. Für Familien mit minderjährigen Kindern soll dies bereits nach sechs Jahren Aufenthalt gelten. Voraussetzungen sind, dass der Lebensunterhalt überwiegend gesichert ist und mündliche Deutschkenntnisse vorhanden sind. Zudem dürfen die Personen nicht straffällig geworden sein. Der Gesetzentwurf geht nun zur Beratung und dann Abstimmung in den Deutschen Bundestag.

Ich hoffe, Ihnen einen etwas tieferen Einblick in die Thematik gegeben zu haben. Es ist gerade in Fragen von Asyl und Bleiberecht oft nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint.

Mit freundlichen Grüßen

Aydan Özoğuz, MdB

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Aydan Özoğuz
Aydan Özoğuz
SPD