Frage an Aydan Özoğuz von Jürgen K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo und guten Tag sehr geehrte Frau Özoğuz,
ich verfolge seit ca. 20 Jahren die Entwicklung im Sektor der sogen. Seniorenresidenzen und Altenpflegeindustrie.
Da ich mit meinen über 60 Jahren und einem mehr als 45jährigen Berufsleben als Exporthändler über relativ breit gefächerte Kenntnisse und Informationen der Generationsethik und der gesellschaftlichen Sittlichkeit im Sektor der "Altenbetreuung" bzw. "Altenintegration" auf internationaler Ebene erlangt habe, gerate ich in immer größere Bedrängnis bei der Antwort auf die Frage, wie ich erklären soll, dass seitens faktisch aller Fraktionen des Deutschen Bundestages, aber eben auch der Bürgerschaftsfraktionen, fast schon eine institutionelle Tabuisierung und eines systemische Informationsunterdrückung und der Desinformation hinsichtlich der organisierten Kriminalität im Sektor der Altenbetreuung und -pflege besteht.
Der faktische Umgang mit der systemischen Fixierung und Ruhigstellung von Altenheiminsassen mittels Gurten, Bettkäfigen und Tranquisizern sowie Psychopharmaka als massenhaft angewandte Praxis als Konsequenz der real-existierenden Finanzwirtschaftseinflüsse zeigt auf eine wirklich grauenhafte Weise eine neu-nazistisches Herrenmenschenphilosophie in den Führungs-, Leitungs- und Lenkungskadern dieser Alten- und Pflegheimindustrie, die durch das Schweigen, die Tabuisierung und die Vertuschungspraxis in der politischen Ebene eine Allianz zwischen unseren Bundes- und Landesparlamentariern und der Finanzskapitalindustrie.
Können Sie mir erläutern, aus welchen Gründen auch von Ihnen und Ihren Fraktionskolleginnen und -kollegen diese Methode der Verantwortungsverweigerung und -flucht praktiziert wird und warum ich künftig eben nicht zur Wahl der Piratenpartei greifen und aufrufen muss?
Herzlichen Dank und beste Grüße
Jürgen Klinger
Sehr geehrter Herr Klinger,
vielen Dank für Ihre Frage zum Pflege-Sektor. Zunächst möchte ich Sie bitten, auf eine sensible Wortwahl zu achten: Von „neu-nazistischer Herrenmenschenphilosophie“ und „Kadern“ im Pflegebereich zu sprechen, ist bei allem Ärger über Missstände oder schlechten Erfahrungen, die Sie vielleicht selber oder Angehörige von Ihnen erlebt haben, nicht akzeptabel. Ebenso ist es nicht angezeigt, der politischen Ebene Vertuschung und Verantwortungsflucht vorzuwerfen.
Ihre Ansicht, die Problematik teils mangelhafter Zustände im Bereich der Altenpflege würden ausnahmslos von allen Fraktionen des Deutschen Bundestags und auch der Hamburgischen Bürgerschaftsfraktionen tabuisiert und ignoriert, teile ich nicht. Die SPD-Fraktion ist für Generationenfragen und Probleme der Gesundheits- und Pflegeversorgung hochsensibel.
Ich verstehe aber Ihren Unmut, denn es werden ja immer wieder Fälle bekannt, bei denen der Umgang mit Pflegebedürftigen nicht den Vorstellungen einer angemessenen Versorgung im Alter entspricht. Sollte es allerdings tatsächlich Zustände, wie sie von Ihnen beschrieben werden, in einem Alten- und Pflegeheim herrschen, gibt es immer die Möglichkeit, rechtliche Schritte einzuleiten.
Politisch betrachtet ist es sicherlich notwendig, die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege zu verbessern, denn wir wollen natürlich eine gute Pflege für alle Menschen, die sie benötigen. Das werden wegen des demographischen Wandels und der immer längeren Lebenserwartung zukünftig noch mehr Menschen sein als heute. Gute Pflege heißt zunächst, dass das Pflegepersonal gute Arbeitsbedingungen hat, ausreichend verdient und ausreichend Zeit für die Pflegebedürftigen hat. Darum fordert die SPD u.a. eine flächendeckende Tarifbindung, eine Stärkung der Pflege-Ausbildungsgänge, eine Mindestbesetzungszahl in den Pflegeeinrichtungen und eine Aufstockung des diensthabenden Pflegepersonals. Außerdem ist es überfällig, dass wir die Pflegeberufe mehr wertschätzen und die Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anerkennen. Diese und weitere Forderungen hat die SPD-Fraktion in ihren Antrag 17/9977 vom Juni 2012 formuliert, den Sie hier gerne einsehen können: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/099/1709977.pdf .
Die Chance, die Bedingungen im Bereich der Pflege nachhaltig zu verbessern, hat die schwarz-gelbe Bundesregierung vorerst leider verpasst. Seit dem 1. Januar 2013 ist zwar das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz in Kraft getreten. Allerdings haben wir Sozialdemokraten die Ausgestaltung dieses Gesetzes stark kritisiert, denn es kommt zu großen Teilen nur Besserverdienenden zugute, die es sich leisten können, eine private Zusatzversicherung für die Pflege zu finanzieren. Außerdem verfehlt das Gesetz, einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff zu definieren und den nachhaltigen Ausbau der Pflegeinfrastruktur sicherzustellen.
Sie sehen an meinen Ausführungen hoffentlich, dass die Zustände in der Pflege uns Abgeordnete im Bundestag sehr beschäftigen und sich niemand zurücklehnt oder schweigt, wenn es um die Zukunft der Pflege und etwaige Missstände geht.
Ich hoffe, auf Ihre Fragen ausreichend geantwortet zu haben. Seien Sie gewiss, dass Probleme im Pflegebereich weder von der SPD, noch von den anderen Parteien unter den Teppich gekehrt werden. Nicht nur deshalb sehe ich – als SPD-Abgeordnete wohl wenig überraschend – keinen Grund, dass Sie die Piraten wählen müssten.
Mit freundlichen Grüßen
Aydan Özoguz, MdB