Sollte die AfD verboten werden?
Menschfeindliche Äußerungen, Verletzung der Menschenrechte stehen im Programm der AfD.
Wie stellen Sie sich zu Begrenzung von Zuwanderung?
Sehr geehrte Frau S.,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Ich habe mir viele Gedanken gemacht, wie mit einem Verbot der AfD umzugehen ist. Nach reiflicher Überlegung habe ich mich dazu entschieden, dem Gruppenantrag zur Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD, der in der vergangenen Woche in den Bundestag eingebracht worden ist, zum jetzigen Zeitpunkt nicht beizutreten. Die gesamte CDU/CSU-Bundestagfraktion hält Anstrengungen in dieser Richtung derzeit juristisch für nicht erfolgsversprechend und politisch kontraproduktiv. Für meine persönlichen Erwägungen und die meiner Kollegen sind folgende Punkte dafür ausschlaggebend:
(1) Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Voraussetzungen für ein Parteiverbot sind mit Blick auf die AfD – zumindest derzeit – aller Voraussicht nach nicht erfüllt. Zwar führt das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als Verdachtsfall auf Rechtsextremismus. Die obergerichtliche Rechtsprechung hat diese Einschätzung bestätigt. Eine Einstufung als „Verdachtsfall“ ist aber nicht gleichzusetzen mit den – erheblich höheren – Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an das Verbot einer politischen Partei stellt. Man muss vielmehr davon ausgehen, dass bei der AfD die Voraussetzungen eines Parteiverbots (noch) nicht erfüllt sind und die Verfassungsschützer nicht über hinreichendes Beweismaterial für ein Verbotsverfahren verfügen.
(2) Das Verfahren zum Verbot einer politischen Partei dauert – selbst im Erfolgsfall – mehrere Jahre. Bei der NPD hat es beispielsweise vier Jahre gedauert. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall eines erfolgreichen Verbotsantrags könnte sich die AfD noch an der übernächsten Bundestagswahl beteiligen und sich dabei als vermeintliche „Märtyrer“ inszenieren.
(3) Darüber hinaus fehlt dem Gruppenantrag die erforderliche Tatsachengrundlage in Form einer umfassenden Materialsammlung. Eine solche könnte nur durch das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz erstellt werden - erst auf einer solchen Grundlage kann eine fundierte Entscheidung getroffen werden. Überdies verlangt das Bundesverfassungsgericht, vor Einleitung eines Verbotsverfahrens „strikte Staatsfreiheit“ gegenüber der betroffenen Partei herzustellen. Das bedeutet: Die Begründung eines Verbotsantrages darf nicht auf Beweismaterialien gestützt werden, deren Entstehung zumindest teilweise auf das Wirken von V-Leuten oder Verdeckten Ermittlern zurückzuführen ist. Eine entsprechende Garantie vermag allerdings nur die Bundesregierung respektive die Landesregierungen zu geben. Sie allein vermögen deshalb einen überzeugenden Beweisantrag zu erarbeiten.
(4) Zudem müssen wir auch die möglichen Folgen eines Scheiterns des Verbotsantrags bedenken: Die AfD erhielte faktisch ein verfassungsgerichtliches „Gütesiegel“, eine verfassungsgemäße Partei zu sein – dieses Risiko einzugehen, halten wir für nicht vertretbar.
(5) Schließlich gilt: Wir halten es für einen Trugschluss zu glauben, die Zustimmung zur AfD ließe sich „wegverbieten“. Die politischen Kräfte der demokratischen Mitte müssen die AfD stattdessen politisch und inhaltlich stellen. Wir wollen keine Symptombehandlung, sondern Ursachenbekämpfung: Die drängenden politischen Probleme Deutschlands müssen gelöst werden, um dem in der Bevölkerung weit verbreiteten Frust gerecht zu werden. Altbundespräsident Joachim Gauck bringt es auf den Punkt: Ein Verbotsverfahren würde „noch mehr Wut und noch mehr Radikalität erzeugen – und das wäre politisch schädlich“.
Ich hoffe, Sie können meine persönliche Einschätzung durch die genannten Punkte besser nachvollziehen. Sie können sich sicher sein, dass ich mir sehr oft Gedanken darüber mache, wie es uns als demokratischer Mitte gelingen kann, die Kreise dieser Partei und der Strömungen zu den Rändern einzuhegen.
Und ich betone, dass mein Entschluss, an den Anstrengungen für ein AfD-Verbot nicht teilzunehmen, nicht in Stein gemeißelt ist. Sollte sich aufgrund neuer Entwicklungen die Situation ergeben, dass ein Verbotsverfahren gegen die AfD größere Erfolgsaussichten hat, sieht die Sache schon wieder anders aus.
Herzliche Grüße
Axel Knoerig MdB