Frage an Andreas Wagner von Christian M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Wagner,
da ja immer mehr für die Sicherheit getan wird, möchte ich Sie fragen, welche Schritte planen Sie um das entstandene Ungleichgewicht bei der Freiheit der Bürger zu beseitigen?
Im öffentlichen Bereich kann ich mich beispielsweise inzwischen nicht mehr bewegen, ohne an vielen Orten von Kameras überwacht zu werden - und das, wo inzwischen erwiesen ist, dass Kameras die Sicherheit nicht erhöhen, d.h. Straftaten nicht verhindern und den Opfern auch keine unmittelbare Hilfe leisten können.
Ist hier der Eingriff in mein Persönlichkeitsrecht noch verhältnismäßig?
Wie stehen Sie zum s.g. Staatstrojaner, d.h. einer staatlichen Software die Sicherheitslücken in Computern und Handys ausnützt um deren Nutzer zu überwachen?
Müsste der Staat nicht alle Sicherheitslücken die ihm bekannt werden an die Hersteller melden, damit diese geschlossen werden können, so dass die Geräte der Bevölkerung hierüber nicht mehr angegriffen werden können?
Sehen Sie hier den Schutz der Bevölkerung vor Schadsoftware oder das Interesse des Staats an Überwachung wichtiger?
Vielen Dank für Ihre Antworten,
C. M.
Sehr geehrter Herr M.,
vielen Dank für Ihre Fragen, die ich gerne beantworte.
Alle Menschen haben ein Grundbedürfnis nach Freiheit und Sicherheit. Sicherheitspolitik darf daher nicht auf Kosten von Freiheitsrechten erfolgen. Sicherheitspolitik muss stattdessen Freiheitsrechte sichern und schützen. Dass muss aus meiner Sicht das Ziel sein.
Ich sehe in dem Ausbau der staatlichen Überwachungsmöglichkeiten von Bürgerinnen und Bürgern eine Einschränkung der Freiheitsrechte und eine zunehmende Gefahr für Menschenrechte und Demokratie. Mehr Sicherheit entsteht hierdurch nicht. Im Gegenteil: Durch den Ausbau von staatlicher Überwachung und die anlasslose Speicherung von Daten, die jeden Menschen unter Generalverdacht stellt, entsteht Unsicherheit und Angst. Durch das Erheben, Speichern und Verknüpfen von personenbezogenen Daten entstehen umfassende Persönlichkeitsprofile. Auch falsche oder veraltete Daten können in diese Persönlichkeitsprofile einfließen - ohne das die*der Betroffene davon Kenntnis hat und eine Berichtigung vornehmen könnte. Viele Menschen fragen sich zu Recht: Wer greift zu welchem Zweck auf die Daten zu? Und was ist, wenn die Daten in falsche Hände gelangen?
Menschen verhalten sich anders, wenn sie wissen, dass sie überwacht werden oder überwacht werden könnten. Und sie überlegen es sich möglicherweise zweimal, sich politisch zu engagieren. Staatliche Überwachung beeinträchtigt und verhindert somit die freie Entfaltung der Persönlichkeit und gefährdet die Demokratie. Die anlassunabhängige Überwachung von Menschen ist aus meiner Sicht ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und lehne ich ab.
Es muss auch in Zukunft möglich sein, sich von Kameras unbeobachtet im öffentlichen Raum bewegen zu können. Ich bin daher gegen einen weiteren Ausbau der Kameraüberwachung im öffentlichen Raum. Ich bin dafür, die finanziellen Mittel stattdessen in eine bürgernahe Polizei und zusätzliche Stellen zu investieren. Ich teile die Einschätzung, dass durch die Überwachung mit Kameras keine Straftaten verhindert werden. Wer beabsichtigt, eine Straftat zu begehen, wird dies tun – möglicherweise sogar gezielt in kameraüberwachten Bereichen, um etwa eine terroristische Tat propagandistisch auszuschlachten. Kameras suggerieren aus meiner Sicht Sicherheit, die sie nicht bieten.
Ich bin gegen den Einsatz des sogenannten „Staatstrojaners“ zur Überwachung von Computern und Handys. Es ist Aufgabe des Staates, Schaden vom Volk abzuwenden. Gerade deshalb muss der Staat aus meiner Sicht dafür sorgen, dass festgestellte Sicherheitslücken in der Software von Computern und Handys zügig beseitigt werden. Denn Sicherheitslücken können nicht nur Schlupfloch für den „Staatstrojaners“, sondern auch für Kriminelle und Angriffsziel im Falle eines Cyberwars sein. Ich halte es im Übrigen für ausgeschlossen, die Legitimität des Einsatzes des „Staatstrojaners“ zu kontrollieren. Wer Sicherheitslücken zu Gunsten des Einsatzes des „Staatstrojaners“ nicht schließt, macht genau das Gegenteil von dem, was ich unter Sicherheitspolitik verstehe.
Freundliche Grüße
Andreas Wagner