Wahlversprechen: Sind wahlversrechen eigentlich einklagbar
sehr geehrter Herr ahmetovic. Sind wahlversrechen eigentlich einklagbar. Wie soll Rente und Steuerbelastung im Angesicht wachsender Belastungen stabil oder sogar ein mehr im Netto erreichen. Wie wird gehandelt über versprechen hinaus . Wann versuchen Demokraten die afd zu neutralisieren anstatt nur zu beschimpfen. Gruß h m.
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Sehr geehrter Herr M.,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Gerne möchte ich auf Ihre drei Fragen eingehen:
1. Sind Wahlversprechen einklagbar?
Im Wahlkampf ist es üblich, dass politische Parteien und Kandidierende für die Zeit nach der Wahl Forderungen aufstellen und Versprechen abgeben, wobei die Grenze häufig fließend ist. Das ist grundsätzlich auch gut so, denn es ist wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger wissen, wofür eine Partei oder ein Kandidat bzw. eine Kandidatin steht.
In einer Demokratie müssen aber Mehrheiten organisiert und Kompromisse geschlossen werden. Außerdem können sich Rahmenbedingungen ändern, wie wir eindrucksvoll nach der Ausweitung des Krieges in der Ukraine im Februar 2022 gesehen haben. Die Macht des Einzelnen und auch einer Partei ist begrenzt und damit auch die Möglichkeit, Versprechen abzugeben. Selbst wenn Vorhaben im Koalitionsvertrag festgehalten wurden, kann es passieren, dass diese aus unterschiedlichen Gründen nicht umgesetzt werden.
Wahlversprechen sind juristisch nicht bindend. Die Bürgerinnen und Bürger können aber im Regelfall erkennen, warum Versprechen gehalten oder nicht gehalten wurden, und ihr Wahlverhalten anpassen.
Interessanterweise werden aber für gewöhnlich mehr Wahlversprechen eingehalten als viele denken. Genau zu diesem Thema gibt es ein aktuelles Forschungsprojekt der Universität Stuttgart, der Universität Trier und der Sciences Po Paris, welches Sie vielleicht interessieren könnte: https://www.uni-stuttgart.de/universitaet/aktuelles/meldungen/Wahlversprechen-und-ihre-Umsetzung/
Auch ich habe im Vorfeld der letzten Bundestagswahl 2021 Versprechen abgegeben und bin froh und stolz darauf, dass meine zentralen Versprechen umgesetzt werden konnten. Dazu gehören:
- die mehrfache Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf nunmehr 12,82 Euro
- die Einführung und schrittweise Erhöhung des Pflegemindestlohns (https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/mindestlohn-altenpflege-steigt-2216632)
- die Einführung des bundesweit gültigen Deutschlandtickets
- mehr Geld vom Bund für Bildung, unter anderem über das „Startchancenprogramm“ (Bildung liegt in Verantwortung der Bundesländer)
- umfangreiche finanzielle Förderung von diversen Projekten in Hannover im Millionenbereich
2. Wie sollen das Renten- und das Steuerniveau stabil bleiben oder sogar so ausgestaltet werden, dass die Bürgerinnen und Bürger real (und nicht nur nominell) mehr Kaufkraft haben?
Sie haben Recht: Deutschland hat in den kommenden Jahren große Herausforderungen zu bewältigen. Wir müssen unsere Wirtschaft im Rahmen einer sozial-ökologischen Transformation fit für die Zukunft machen, wir müssen in diesem Zuge unsere Infrastruktur, also unsere Straßen, Schienen und Brücken, unsere Gebäude (unter anderem Schulen!), und unsere Energie- und Kommunikationsnetze modernisieren, und wir müssen unsere Sozialversicherungssysteme, wie die Renten- und Pflegeversicherung, reformieren, um sie an die demographischen Gegebenheiten unserer Zeit anzupassen.
Dieser Reformbedarf ist mit hohen Kosten verbunden. Als überzeugter Sozialdemokrat bin ich der Meinung, dass wir diese großen Investitionen nicht alleine mit den uns zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln finanzieren können. Mit anderen Worten: Ich sehe es als notwendig an, diese dringend notwendigen Investitionen schnellstmöglich durch temporäre Aufnahme von Schulden zu finanzieren, da wir ansonsten unseren Wohlstand und unsere Wirtschaft gefährden und letztendlich alles nur noch teurer wird.
Zum Thema Steuern:
Im Bundestagswahlkampf werben alle Parteien mit Steuererleichterungen. Schaut man sich die Vorschläge jedoch genauer an, sieht man zum einen, dass unterschiedliche Personengruppen davon profitieren würden und zum anderen, dass einige Parteien unrealistische, viel zu teure Versprechen machen.
Als SPD haben wir jedoch ein umfangreiches, realistisches Steuerkonzept vorgelegt, welches nicht nur die Einkommenssteuer, sondern auch andere Steuerarten umfasst, und dem Großteil der Bürgerinnen und Bürger (95%) zugutekommen soll, während wir von den reichsten 5% der Bürgerinnen und Bürger einfordern, größere finanzielle Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. So möchten wir bei der Einkommenssteuer Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen spürbar entlasten, indem wir den Grundfreibetrag anheben. Von dieser Entlastung profitieren zwar sämtliche Einkommenssteuerzahler, am spürbarsten aber jene mit geringeren Einkommen. Zugleich wollen wir den Spitzensteuersatz auf 45% anheben, aber erst später greifen lassen und den Reichensteuersatz auf 47% erhöhen und etwas früher greifen lassen.
Zum Thema Rente:
Wie eingangs beschrieben steht auch das Rentensystem unter Druck und wir müssen als Gesellschaft darüber sprechen, wie wir das System reformieren können. Ich spreche mich entschieden gegen eine Erhöhung des Renteneintrittsalters aus, ich bin gegen die Rente ab 70. Das hat auch etwas mit Würde und Wertschätzung von Lebensleistung zu tun. Damit die Rente stabil bleibt brauchen wir:
- die Schaffung von gut bezahlten, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen und damit einhergehend einen starken Wirtschaftsstandort Deutschland sowie
- viele Menschen, die dann auch diese Jobs ausüben, in das Rentensystem einzahlen und im besten Falle zusätzlich privat vorsorgen können. Dies kann unter anderem durch die Zuwanderung von hochqualifizierten Fachkräften aus dem Ausland und durch eine bessere Kinderbetreuung gelingen, die es ermöglicht, dass Eltern von Teilzeit in Vollzeit wechseln können.
Arbeit muss sich lohnen, darin sind sich im Grunde genommen alle Parteien einig. Statt aber Diskussionen darüber zu führen, den Ärmsten das Bürgergeld zu streichen, sollte der Mindestlohn auf mindestens 15 Euro gehoben werden, damit der Unterschied zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Menschen, die Sozialleistungen erhalten, größer wird und sich Arbeit wieder mehr lohnt. Natürlich sollten auch Angebote für all jene geschaffen werden, die freiwillig länger arbeiten können und wollen.
3. Wann versuchen Demokraten die AfD zu neutralisieren, anstatt nur zu beschimpfen?
Die AfD ist keine gewöhnliche demokratische Partei. Auch wenn Menschen die AfD auf demokratischem Wege wählen, ändert dies nichts an der Tatsache, dass sie eine Bedrohung für unsere Demokratie ist. Wenn absurde geschichtsrevisionistische Debatten darüber geführt werden, ob Adolf Hitler ein linker Sozialist war, wenn in Karlsruhe im Wahlkampf Menschen mit Migrationshintergrund „Abschiebetickets“ mit rechtsextremen Codes in ihre Briefkästen geworfen bekommen, wenn bei Treffen der AfD mit Rechtsextremen Deportationspläne für Millionen von Menschen in unserem Land besprochen werden, dann müssen wir als Demokratinnen und Demokraten lautstark protestieren und diese Bemühungen zurückdrängen. Wir beschimpfen die AfD aber nicht nur, so wie Sie es darstellen, sondern weisen auf die Gefahr hin, die von ihr ausgeht, und zeigen zudem auch inhaltlich, warum ihre Vorschläge schlecht für unser Land wären. Es ist vor allem die AfD, die zu einer rhetorischen Verrohung von Debatten geführt hat, und in unseren Parlamenten sowie auf politischen Veranstaltungen unsere demokratischen Prozesse und Institutionen beschimpft und verunglimpft.
Aufgrund dieser Bedrohung unserer Demokratie, die von der AfD ausgeht, bin ich überzeugter Erstunterzeichner des AfD-Verbotsantrages, ein Vorhaben, welches wir in der neuen Legislaturperiode weiterverfolgen werden. In einer Demokratie muss man unterschiedliche Meinungen aushalten können, man muss aber auch die Demokratie verteidigen und mit Leben füllen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Standpunkte darlegen. Erneut vielen Dank für Ihre Nachricht und mit freundlichen Grüßen
Adis Ahmetović, MdB