Frage an Zaklin Nastić von Bernhard K. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Sehr geehrte Frau Nastic,
Ich bin Hamburg-Niendorfer und möchte Sie Im Hinblick auf meine Abstimmungs-Entscheidung bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr fragen, ob Sie positiv oder negativ zu dem in Brüssel verabredeten Billionen Deal stehen und wie Sie abstimmen werden, wenn im Bundestag noch darüber entschieden werden sollte?
Haben Sie vielen Dank für Ihre Antwort
Mit freundlichen Grüßen
B. K.
Sehr geehrter Herr Karrenbrock,
vielen Dank für Ihre Frage.
Dem Ergebnis des Ende Juli stattgefundenen EU-Gipfels stehe ich äußerst kritisch gegenüber und lehne den „Deal“ in dieser Form klar ab. Es ist offensichtlich, dass die Chance für einen echten sozialen Neustart für Europa verpasst wurde. Zwar ist es gut, dass es mit dem Wiederaufbaufonds einen gemeinsamen Krisenbewältigungsansatz gibt, doch das Volumen entspricht gerade einmal gut 0,7 Prozent des EU-weiten BIPs, also nur einem Bruchteil dessen, was bei uns in Deutschland zur Krisenbekämpfung ausgegeben wurde. Unter dem Druck der sogenannten „Geizigen Vier“ wurde der Kreditanteil des Fonds deutlich erhöht, was die Schuldenstände der ökonomisch schwächeren Länder weiter nach oben treiben und somit für noch mehr Ungleichheit in Europa sorgen wird.
Es ist zudem falsch, dass die Gelder nicht an die Bekämpfung von Steuerdumping und an eine EU-weit koordinierte Vermögensabgabe gekoppelt wurden, sondern stattdessen an krisenverschärfende Sparauflagen, mit viel zu wenig Unterstützung für den Gesundheits- und Forschungsbereich. Programme zur Koordinierung von Gesundheitspolitiken und Pandemievorsorge (rescEU, EU4health) wurden in Zeiten einer Pandemie massiv zusammengestrichen – eine unfassbare Fehlleistung. Auch einige sinnvolle europaweite Bildungs-, Forschungs- und Studierendenprogramme (z.B. Erasmus) wurden stark gekürzt, was ich als Linke und als Internationalistin in aller Deutlichkeit ablehne. Besonders zynisch ist in diesem Zusammenhang, dass mit dem neuen Haushalt erstmals ein milliardenschwerer Militärfonds eingeführt werden soll, der den EU-Verträgen widerspricht. Die EU braucht in dieser schwierigen Lage sicher vieles, aber keine weitere Aufrüstung und Militarisierung.
Die EU schmückt den Wiederaufbaufonds gerne mit sehr schön klingenden Namen wie Next Generation EU, doch in Wahrheit bedeutet dieser keinesfalls einen wirtschaftspolitischen "Paradigmenwechsel". Die EU bleibt ein neoliberales Projekt, die vorhandenen Strukturprobleme (z.B. Wettbewerbsrecht, Europäisches Semester, Fiskalregeln u.v.m.) bestehen unangetastet weiter und werden nur für die Dauer dieser Krise ausgesetzt. Auch die Demokratiemängel der EU werden durch die sogenannte „NGEU“ nicht angegangen, sondern weiter verschärft – die Verwaltung der neu geschaffenen Fonds weist nämlich selbst erhebliche Demokratiedefizite auf, die dringend behoben werden sollten.
Für DIE LINKE ist klar: ein Krisen-Wiederaufbaufonds sollte einen sozial-ökologischen Aufbruch für Europa bedeuten – samt mehr Demokratie und sozialer Gerechtigkeit. Vor allem ärmere Schichten sind wirtschaftlich auf Unterstützung angewiesen, doch leider muss man davon ausgehen, dass sie erneut zu den Krisenverlierern gehören werden – auch langfristig. Es ist zutiefst bedauernswert, dass die EU selbst in einer solchen Notsituation nicht bereit ist, zum Wohl der zukünftigen Generationen über ihren neoliberalen Schatten zu springen.
Mit freundlichen Grüßen
Żaklin Nastić