Frage an Wolfgang Wiehle von Paul E. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Wiehle,
in der Sitzung des Bundestags zum Thema Radverkehr am 17.01.20 fordern Sie, Radinfrastruktur solle innerhalb von Städten nicht durch Umwidmung von "KFZ-Fahrspuren" geschaffen werden. Dazu möchte ich einleitend zunächst feststellen, dass es innerorts in der Regel keine KFZ-Fahrspuren gibt. Es handelt sich bei Fahrbahnen um Flächen, die in der Regel von allen StVO-konformen Fahrzeugen befahren werden können und müssen. De facto handelt es sich bei den von Ihnen genannten Umwidmungen um einzelne Fahrbahnen, auf denen dem Rad formal ein Vorzug eingeräumt wird, grob vergleichbar etwa mit Kraftfahrstraßen außerorts, auf denen nur PKW fahren dürfen. Im Folgenden nun meine Fragen:
1. Wenn nicht durch eine Umwidmung existierender Fahrbahnen, auf welcher Fläche soll denn in existierenden Städten konkret Fahrradinfrastruktur geschaffen werden? Sollen die Bürgersteige entfernt werden? Soll privater Grund enteignet und blockweise Gebäude abgerissen werden?
2. Ich lebe persönlich in einer typischen deutschen Großstadt und kann ihnen berichten, dass ein Alltag mit dem Fahrrad durch die jahrzehntelange autofreundliche Stadt- und Verkehrsplanung mit großen Einschränkungen verbunden ist, obwohl zahllose Studien bestätigen, dass Radfahrer unter dem Strich ein Gewinn für die Allgemeinheit sind, während jeder Autokilometer von der Allgemeinheit stark subventioniert wird. Warum ist es aus Ihrer Sicht derart unangemessen, wenn ein kleiner Teil der riesigen Fläche, die in unseren Innenstädten von Autofahrern in Anspruch genommen wird, für den Fahrradverkehr in Anspruch genommen wird?
3. Mit welcher Begründung bezeichnen Sie die Verkehrswende als "Ideologieprojekt"? Sachorientierte Argumente und nachprüfbare Thesen zur Verkehrswende sind doch in Deutschland mittlerweile seit Jahrzehnten verfügbar. "Ideologisch" ist ein Inhalt dann, wenn er nicht aus der Sache entspringt sondern Zwecken jenseits dieser Sache dient. Dies ist hier offensichtlich nicht der Fall.
Sehr geehrter Herr Eisermann,
in den Städten werden häufig Fahrspuren (oder noch genauer: Fahrstreifen), die für den Kfz-Verkehr zugelassen waren, umgewidmet oder beseitigt. Das ist nicht zu bestreiten.
Häufig geschieht das zugunsten von bisweilen sehr breiten Radwegen, auch in meiner Heimatstadt München, z.B. am Altstadtring. Bei einer realistischen Betrachtung der Verkehrsleistung muss man die mit den verschiedenen Verkehrsmitteln erbrachte Verkehrsleistung in Personenkilometern betrachten (und nicht den sog. "Modal split", der nur die Anzahl der Fahrten wiedergibt). Dann merkt man schnell, dass gerade auf Hauptverkehrsstraßen der ganz überwiegende Teil der Verkehrsleistung durch Kfz, Busse und Lkw (hier: Leistung in Tonnenkilometer) erbracht wird. Hier einen Rückbau zugunsten sehr breiter Radwege vorzunehmen, verringert die Gesamtleistungsfähigkeit und damit auch die Funktionsfähigkeit der betroffenen Stadt insgesamt, was langfristig auf Einkommen (sinkend) und Preise (steigend) durchschlägt.
Ideologisch nenne ich solche und andere Ansätze, wenn sie gezielt auf die Umerziehung der Menschen und auf die Benachteiligung bestimmter Verkehrsmittel hinwirken. Städte in anderen Ländern gehen auch bzgl. der Förderung des Radverkehrs erfrischend pragmatisch vor, z.B. Kopenhagen: dort wird Radverkehrs-Infrastruktur vor allem abseits der Hauptverkehrsstraßen geschaffen. Das heißt auch: die politisch häufig bewusst herbeigeführte Flächenkonkurrenz wird dort umgangen. Das könnte man in deutschen Städten auch viel öfter machen und z.B. die Fahrradrouten durch Nebenstraßen des Autoverkehrs führen.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Wiehle