Frage an Wolfgang Stefinger von Max E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr S.,
seit Jahren steigt die Anzahl der Cannabiskonsumenten unter Jugendlichen in Deutschland [1].
Zeitgleich hat auch die 12-Monats-Prävalenz unter Erwachsenen im Berichtsjahr 2018/19 gegenüber dem Vergleichsjahr 2015 eine Zunahme von 6,1% auf 7,1% verzeichnet [2].
Auch die Betäubungsmitteldelikte mit Bezug zu Cannabis steigen seit 2010 drastisch und stetig an [3], wobei insbesondere die Unterscheidung zwischen Handelsdelikten und konsumnahen Delikten zeigt, dass der (enorme) Großteil zu den letzteren gehört und der Gesamtanstieg vor allem dieser Kategorie zu verschreiben ist [4].
Illegale Händler in ganz Europa machten laut der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht einen Gesamtumsatz von 30 Milliarden Euro im Jahr 2017, wovon Cannabis mit 11,6 Milliarden Euro den größten Anteil ausmacht [5].
Warum wird nach diesen Zahlen und Erfahrungen weiterhin eine drogenpolitische Strategie verfolgt, die einen milliardenschweren europäischen Schwarzmarkt ermöglicht, keinen funktionierenden Jugendschutz garantiert und zugleich aber hauptsächlich die erwachsenen Konsumenten bestraft?
[1] Cannabis Bericht - Alkoholsurvey 2018: https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studien/Alkoholsurvey_2018_Cannabis-Bericht.pdf
[2] Drogen- und Suchtbericht 2020 - Bundesdrogenbeauftragte: https://www.drogenbeauftragte.de/assets/user_upload/DSB_2020_final_bf.pdf
[3] Rauschgiftdelikte in Verbindung mit Cannabis - Statista: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2443/umfrage/entwicklung-der-rauschgiftdelikte-in-verbindung-mit-cannabis/
[4] Bundeslagebild Rauschgift 2019 - BKA: https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/Rauschgiftkriminalitaet/2019RauschgiftBundeslagebild.html
[5] Dealer machen 30 Milliarden Euro Umsatz im Jahr - FAZ: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/drogendealer-machen-jaehrlich-30-milliarden-euro-umsatz-in-europa-16504857.html
Sehr geehrter Herr Erler,
vielen Dank für Ihr Schreiben zum Thema Legalisierung von Cannabis. Gerne erläutere ich Ihnen meine Position dazu: Zwar sind die akuten Effekte von Cannabis vorübergehend und bei ansonsten Gesunden nicht lebensbedrohlich. Eine Überdosis Cannabis führt nicht zum Tod. Anders verhält es sich aber bereits beim Gebrauch von synthetischen Cannabinoiden. Aufgrund ihrer chemischen Zusammensetzung ist ihre Wirkung stärker und es wurden auch bereits Todesfälle registriert.
Zudem zeigt die aktuelle Forschung, dass ein regelmäßiger und häufiger Cannabiskonsum die Hirnleistung und insbesondere das Gedächtnis verschlechtern kann. Abhängig vom Konsumverhalten zeigen sich zum Teil erhebliche Beeinträchtigungen bei der Lern- und Erinnerungsleistung, aber auch negative Auswirkungen auf andere kognitive Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit und Denkleistung. Cannabis ist ein Risikofaktor für schwere psychische Erkrankungen. Am deutlichsten ausgeprägt ist das erhöhte Krankheitsrisiko bei Psychosen. Cannabiskonsumenten erkranken in der Regel rund 2,7 Jahre früher an der psychotischen Störung und haben einen ungünstigeren Krankheitsverlauf. Unter Cannabis treten häufiger zum ersten Mal manisch-depressive Symptome auf, wie sie bei bipolaren Störungen beobachtet werden. Das Risiko hierfür ist dreimal so hoch wie bei Nichtkonsumenten. Cannabis erhöht das Risiko für Angststörungen und Depressionen. Cannabiskonsum während der Schwangerschaft kann zudem Risiken für Mutter und Kind bergen. Während die Schwangeren selbst ein erhöhtes Risiko für Anämien (Blutarmut) haben können, steigt durch den Cannabiskonsum die Gefahr für Entwicklungsstörungen des Fötus. Die Kinder kommen dann mit einem geringeren Geburtsgewicht zur Welt und sind öfter auf intensivmedizinische Maßnahmen angewiesen. Zudem gibt es ein erhöhtes Gefährdungspotenzial für Jugendliche: Menschen, die häufig Cannabis konsumieren, brechen öfter die Schule ab, besuchen seltener eine Universität und haben seltener akademische Abschlüsse als ihre nicht konsumierenden Altersgenossen. Der geringere Bildungserfolg zeigt sich vor allem, wenn Jugendliche über Jahre hinweg viel Cannabis konsumieren und schon vor dem 15. Lebensjahr damit begonnen haben. Deswegen halte ich ein Verbot aus Gründen des Jugendschutzes für absolut richtig.
Im Jahre 2010 waren 23.349 Patienten wegen Cannabis in stationärer bzw. ambulanter Behandlung, 2018 waren es bereits 31.912 Personen. Keine andere illegale Droge sorgt für vergleichbar viele Behandlungsfälle. Und es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine Legalisierung von Cannabis automatisch dazu führt, dass der Schwarzmarkt verschwindet und der organisierten Kriminalität eine Finanzierungsgrundlage entzogen wird. In Kanada ist der Handel mit Cannabis legalisiert worden. Laut kanadischem Statistikamt kaufen mehr als zwei Drittel der Konsumenten die Droge weiterhin auf dem Schwarzmarkt. Der Grund: Der Schwarzmarkt passt sich den legalen Konkurrenzangeboten an. Die Schwarzmarktpreise sind seit der Legalisierung unter das Niveau des legalen Verkaufs gesunken, bei gleichzeitigem Anstieg des Wirkstoffgehalts. Auch Jugendliche versorgen sich weiterhin auf dem Schwarzmarkt.
Vor diesem Hintergrund halte ich die komplette Legalisierung von Cannabis aus Gesundheits- und Jugendschutzgründen für kontraproduktiv. Ich hoffe, Ihnen meinen Standpunkt ein Stück weit näher gebracht zu haben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Stefinger