Frage an Wolfgang Stefinger von Jan F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Lieber Herr Stefinger,
Was tun Sie und Ihre Partei um den Ausverkauf unserer schönen Stadt an ausländische Investoren (Gentrifizierung) zu verhindern bzw. einzudämmen? Wieso verkauft auch München sein Tafelsilber? Wieso werden Entmietungen, die Zerstörung des Kleingewerbes und der Abriss der letzten Hinterhöfe nicht verhindert? Wie lange werden Sie es zulassen, dass auf dem Altar der gnadenlosen Geschäftemacherei und Spekulation das Wohl des Bürgertums geopfert wird?
Mit Dank und herzlichen Grüßen
Jan Ateet F.
Sehr geehrter Herr F.,
ich bedanke mich für Ihre Frage zu dem Thema Einfluss ausländischer Investoren auf die Gentrifizierung. Es ist unstrittig, dass der Charakter eines Stadtviertels vor allem von den Menschen geprägt wird, die in dem jeweiligen Bezirk leben. In Übereinstimmung mit den konservativen und sozialen Werten der CSU herrscht in der Partei ein Grundkonsens darüber, dass eine allmähliche Verdrängung angestammter Bürger eines Stadtviertels innerhalb weniger Jahre dem sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft nicht zuträglich sein kann und somit nicht im Sinne des Allgemeinwohls ist. So ist auch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Prüfung der Verfassungskonformität der Mietpreisbremse zu der Auffassung gelangt, die Mietpreisbremse sei deshalb verfassungskonform, da es im öffentlichen Interesse läge „der Verdrängung wirtschaftlich weniger leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen aus stark nachgefragten Stadtteilen entgegenzuwirken“.
Die CSU befürwortet allerdings Eingriffe in den freien Wettbewerb nur in Ausnahmefällen. Dies ist beim Immobilienmarkt teilweise gegeben, da die Selbstregulierungskräfte des Marktes dadurch gehemmt werden, dass sich das Angebot – insbesondere in Innenstadtlagen – nicht kurzfristig an die Nachfrage anpassen kann. Neuer Wohnraum entsteht nicht von heute auf morgen und Nachverdichtungen kommen nicht überall in Betracht.
Daher haben wir bereits einige Maßnahmen umgesetzt, welche den gewachsenen Strukturen, die den Charakter eines Stadtviertels zu nicht unwesentlichem Grad prägen, zugutekommen sollen. So haben wir uns jüngst mit unserem Koalitionspartner auf eine Verlängerung und Verschärfung der Mietpreisbremse geeinigt. Die Mietpreisbremse ist relevant für Neuvermietungen bestehender Wohnungen in Gebieten, die die Bundesländer durch entsprechende Rechtsverordnung als angespannten Wohnungsmarkt ausgewiesen haben. Dort darf die Miete zu Beginn eines Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete um nicht mehr als 10 Prozent übersteigen. Um Mietsteigerungen zu dämpfen, wird der Betrachtungszeitraum für die ortsübliche Vergleichsmiete von vier auf sechs Jahre erweitert. Von den Mietern zu akzeptierende Mietsteigerungen müssen sich damit an Miethöhen orientieren, die länger zurückliegende Mietverträge mit einbeziehen. Das führt in Zeiten steigender Mieten gerade auf angespannten Wohnungsmärkten zu geringeren Vergleichswerten. Zudem ist vorgesehen, dass Mieter künftig zu viel gezahlte Miete für einen Zeitraum von 30 Monaten zurückfordern können.
Anfang des Jahres ist es mir gelungen, meine CSU-Kollegen von der Notwendigkeit einer Neuregelung bei der Besteuerung von Werkswohnungen zu überzeugen. Bisher mussten Mieter, deren Arbeitgeber ihnen Wohnraum zu vergünstigten Mietkonditionen überließen, die Differenz zur ortsüblichen Miete als geldwerten Vorteil versteuern. Diese Gesetzeslage konterkariert Bemühungen von Unternehmen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, der in einer Stadt wie München dringend benötigt wird. Meine Forderung fand nun auch Eingang in den Gesetzentwurf zum Jahressteuergesetz 2019. Der Gesetzentwurf sieht die Änderung der Bemessungsgrundlage für die Höhe des zu versteuernden geldwerten Vorteils vor. Dieser wird verringert, die Mieter werden steuerlich entlastet. Die gesetzliche Änderung umfasst auch vom Arbeitgeber angemietete Wohnungen, die dem Arbeitnehmer überlassen werden, der Arbeitgeber muss also nicht Eigentümer der Wohnungen sein.
Auch die Münchner CSU-Stadtratsfraktion hat in einem Antrag vom Februar 2019 bereits gefordert, preisgünstigen Wohnraum in München zu sichern, indem bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer künftig nicht mehr die ortsübliche, sondern die tatsächliche Miete angesetzt wird. So sollen faire private Vermieter, denen es nicht um die höchstmögliche Rendite, sondern um ein dauerhaftes, gutes Mietverhältnis geht, darin unterstützt werden, günstige Mieten zu verlangen. Vermieter, die ihren Wohnraum zu fairen Preisen vergeben, sollen durch Änderungen im Steuerrecht davor bewahrt werden, ihre Immobilien verkaufen zu müssen. Bisher werden bei der Berechnung der Steuerlast der Marktwert des Grundstücks und potenzielle Mieten nach Mietspiegel zugrunde gelegt. Das treibt die Steuern insbesondere für Vermieter, die nicht auf Profitmaximierung aus sind, in Höhen, die manche zum Verkauf zwingen. In einem weiteren Antrag regt die CSU an, die Erbschafts- und Schenkungssteuer zu senken oder zu erlassen, wenn sich der Vermieter zu sozialen Vermietkonzepten verpflichtet.
Insgesamt sind wir in der CSU jedoch der Überzeugung, dass wir drastisch steigenden Mieten mittelfristig mit einer Erhöhung des Angebots begegnen müssen. Wenn sich das Angebot wieder der Nachfrage annähert, wird sich die Preisentwicklung im Immobilienmarkt entspannen, wodurch der Markt für die von Ihnen angesprochenen Spekulanten weniger attraktiv wird. Im vergangenen Jahr hat der Bund den Ländern zur Wohnraumförderung etwa 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Insgesamt haben wir im Koalitionsvertrag den Bau von 1,5 Millionen Wohnungen in der laufenden Legislaturperiode beschlossen. Bis Ende des Jahres wird die unionsgeführte Bundesregierung zudem einen Gesetzentwurf zur Änderung des Baugesetzbuchs vorlegen, damit mehr Bauland ausgewiesen werden kann.
Auch wenn ich Ihre Enttäuschung angesichts der Kündigung des Mietvertrages mit dem von Ihnen betriebenen Malort München e.V. infolge des Verkaufs der Immobilie in der Fraunhofer Str. 13 verstehen kann, möchte ich jedoch Folgendes zu bedenken geben: Laut einer im Juli 2019 veröffentlichten Dokumentation des Bayerischen Rundfunks (BR24-Webserie zum Thema "Wer beherrscht Bayern? – Die Macht des Auslands") befinden sich 86,8 Prozent aller Wohnungen in Bayern im Eigentum von Privatpersonen. Ihre Aussage vom „Ausverkauf unserer schönen Stadt an ausländische Investoren“ kann ich angesichts dieser Zahlen nicht nachvollziehen. Ursächlich für die Gentrifizierung sind demnach nicht primär ausländische Investoren, sondern eine Reihe anderer Faktoren, allen voran der starke Zuzug nach München mit ca. 15 Prozent prognostiziertem Bevölkerungswachstum bis 2035.
Eine Marktzugangsgeschränkung für ausländische Investoren – wie von Ihnen in Ihrem Schreiben impliziert – halte ich daher nicht für zielgerichtet. Stattdessen setzen wir auf die oben beschriebenen Maßnahmen im Bereich des bezahlbaren Wohnraums als einer der Grundbedingungen, um gewachsene Strukturen und den Charakter der Stadt zu erhalten.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Stefinger
Mitglied des Deutschen Bundestages