Frage an Wolfgang Neškovic von Walter K. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Neskowic, zunächst bitte ich um Nachsicht für meine mailgewordene, unsachliche Ungeduld, die in Ihrem Postfach gelandet sein dürfte. Hohes Alter hat wenig Zeit...
Ihre klasse Antwort bestätigt einmal mehr den Eindruck, dass bei Einkommensbelastungen in der Regel Pauschalen oder Bemessungsgrenzen, bei Zuwächsen hingegen unbegrenzt Prozente angewendet werden, ohne dass da bürokratische Hürden eine Hindernis wären. Lässt das nicht den Eindruck zu, dass die Mächtigen bei der Gesetzgebung immer ihren eigenen Vorteil im Auge haben? Wäre es nicht angebracht, z.B. bei Lohnerhöhungen sehr viel mehr den Sockel, nicht Prozente als Teil einer Antischere in Betracht zu ziehen?
Und: Können Sie meine Meinung verstehen, dass die Jurisdiktur erheblich am Niedergang unseres sozialen Rechtsstaates beteiligt ist? Ist die Floskel "Im Namen des Volkes..." mittlerweile noch zutreffend? Müsste es nicht heißen:" Im Namen der Privilegierten"? Nicht nur bei mir verfestigt sich der Eindruck, dass die Justiz die Mächtigen, die Bessergestellten und ihresgleichen mit besonderer Milde bis hin zu Rechtsverzerrung behandelt. Könnte man daraus nicht den Schluss ziehen, dass die Verfehlungen der Mächtigen deswegen nahezu folgenlos immer dreister werden, weil sie nichts zu befürchten haben? Müsste es nicht eine sanktionsfähige Instanz geben, die die Rechtsprechung überwacht?
Und: Ihr Abstimmungsverhalten oben kommt falsch rüber, wenn man den Links nicht weiter folgt. Zusatz wie vielleicht ´weil unzureichend´ würde das Bild zurecht rücken. Abgeordnetenwatch sollte es möglich machen!
Freundliche Grüße
Walter Keller
Sehr geehrter Herr Keller,
vielen Dank für Ihre freundliche Nachricht. Ihrer Antwort entnehme ich, dass es mir gelungen ist, das entstanden Missverständnis auszuräumen.
Zu Ihrer Frage:
1. Es ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit, dass sich die finanzielle Belastung der Bürgerinnen und Bürger nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit richtet. Pauschalen und Bemessungsgrenzen sind vor diesem Hintergrund grundsätzlich kritisch zu sehen.
Doch auch soweit Pauschalen und Bemessungsgrenzen keine Rolle spielen - also insbesondere im Steuerrecht - ist dieses soziale Gebot nur unzureichend verwirklicht. 78 Prozent der Befragten empfinden laut einer Untersuchung des Allensbach-Instituts von März 2008 das bundesdeutsche Steuersystem als ungerecht. Dies kommt nicht von ungefähr, wurden und werden doch seit 1998 die Steuern für Besserverdienende und Unternehmen massiv gesenkt. Allein die seit 1999 bis heute umgesetzte Senkung der Körperschaftsteuer und des Einkommensspitzensteuersatzes kostet die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler jährlich fast 30 Milliarden Euro. Im Ergebnis finanzieren derzeit vor allem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Rund drei Viertel des Steueraufkommens werden durch die Lohnsteuer, Umsatz- und Verbrauchsteuern sowie die Mineralölsteuer aufgebracht. DIE LINKE fordert eine sozial gerechte Reform der Einkommensteuer, die dem Grundprinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gerecht wird. Zu unseren Forderungen gehört dabei insbesondere eine Tarifreform, nach der der Tarif durchgehend linear progressiv ist. Der Eingangsteuersatz soll 15 Prozent betragen. Der Spitzensteuersatz 50 Prozent ab einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von 60.000 Euro.
2. Die Rolle der Rechtsprechung in Bezug auf den sozialen Rechtsstaat ist zwiespältig.
Mit Blick auf verschiedene Urteile in Wirtschaftsstrafsachen gewinnt man den berechtigten Eindruck, dass sich in der Bundesrepublik inzwischen eine Art Zweiklassenstrafrecht etabliert hat. Die Fälle, in denen Beschuldigte in diesem Bereich - trotz Schadenssummen in Millionenhöhe - noch einmal mit einem blauen Auge davon kommen, weil Ihnen die Justiz die Möglichkeit einräumt, sich frei zu kaufen, lassen sich kaum noch zählen. Ein derartiger Handel mit der Gerechtigkeit verletzt jedoch das allgemeine Gerechtigkeitsgefühl der Menschen. Es ist der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln, dass im Bereich der sogenannten Bagatellkriminalität (Schwarzfahren, Ladendiebstahl etc.) eine unnachgiebige Strafverfolgung stattfindet, während gut betuchte Wirtschaftskriminelle - ganz egal, wie hoch der angerichtete Schaden ist - offenbar darauf vertrauen, dass sie, wenn es darauf ankommt, eine Einstellung des Verfahrens erreichen können oder ihnen höchstens eine Bewährungsstrafe droht.
Auf der anderen Seite hat es in jüngster Zeit Urteile gegeben, die den sozialen Rechtsstaat stärken. Das Landessozialgericht Hessen und das Bundessozialgericht haben in zwei kurz aufeinander folgenden Entscheidungen die Hartz IV-Regelsätze für Kinder für verfassungswidrig erachtet und das Bundesverfassungsgericht angerufen. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat im März dieses Jahres entschieden, dass ein Stundenlohn von 5,20 Euro für Verkäuferinnen und Verkäufer im Einzelhandel sittenwidrig ist. Der Stundenlohn der Klägerinnen wurde nachträglich auf 8,21 Euro aufgestockt.
3. Im Übrigen darf ich Sie auf meine Internet-Seite verweisen: www.wolfgang-neskovic.de Dort werden Sie weitere Beiträge finden, die sich mit meiner Kritik an der Justiz und insbesondere an der Justizpolitik befassen.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Neskovic