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Frage von Marcus H. •

Frage an Wolfgang Neškovic von Marcus H. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Neskovic,
ich bin äußerst beunruhigt über die zunehmende Gewaltbereitschaft – insbesondere bei den Jugendlichen. Abseits der ebenso medienwirksamen wie grausamen Todesfälle, gibt es täglich Übergriffe, die die Menschenwürde antasten. Meine Frau sah sich in den letzten Monaten allein drei dieser wahllos vorgenommenen Übergriffe auf ihrem Weg zur Arbeit in der Hamburger Innenstadt ausgesetzt. Von Pöbeleien bis zur Morddrohung reichte die Palette. Ich selbst war in den letzten Jahren Opfer ähnliche Vorfälle. Anstatt jedoch meine Würde zu verteidigen, musste ich in beiden Fällen von drei Annahmen ausgehen: Amphetamine und Alkohol im Kopf, Waffe am Körper und Wut über eine soziale Ungerechtigkeit im Bauch. Wäre meine Reaktion anders ausgefallen als sie letztendlich ausgefallen ist, hätte ich gute Chancen gehabt, eine weitere medienwirksame Schlagzeile abzugeben.
Was ich damit sagen möchte ist, dass ich sowohl die Furcht verstehen kann, mit der meine Frau jetzt morgens in die S-Bahn steigt, als auch die anhaltende, ohnmächtige Wut darüber, dass unbescholtene Bürger immer häufiger in diesen Genuss einer viel zu langsam reagierenden Rechts-, Sicherheits-, Sozial-, Bildungs-, und Arbeitspolitik kommen. Da Ihr Gremium die Grundlagen für die Lösung dieses ressortübergreifenden Problems schafft, wende ich mich mit meiner Frage an Sie:

Reagiert die Gesetzgebung als anscheinend letzte Instanz auf die immer weiter eskalierende Verrohung der Gesellschaft?

Oder ist die unantastbare Menschenwürde nur noch eine Sage, die längst aus dem Grundgesetz gestrichen ist? Ist dem so, müsste ich meiner Frau trotz ungezählter ethischer und moralischer Bedenken empfehlen, einen Zimmermanns-Hammer in ihrer Aktentasche zu deponieren. So würde sie beim Versuch, ihren Arbeitsplatz unversehrt zu erreichen, nicht bei jedem »prekären« Mitbürger in hilfloser Angst erstarren und im schlimmsten Fall einen Rest ihrer Würde selbst retten können.

zutiefst besorgt

Marcus Höfer

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Sehr geehrter Herr Höfer,

die zunehmende Gewalt, insbesondere der starke Anstieg im Bereich der Köperverletzungsdelikte, bereiten mir ebenso Sorge wie Ihnen. Trotzdem kann ich mich Ihrer mutmaßlichen Grundforderung – der Verrohung der Gesellschaft, mit härteren Gesetzen zu begegnen – nicht anschließen.

Das eigentliche Problem ist nicht ein angeblich zu „lasches“ Jugendstrafrecht, sondern das Fehlen einer richtigen Bildungs- und Sozialpolitik.

Das Jugendstrafrecht kann in diesem Zusammenhang nur eine ergänzende Funktion einnehmen. Im Vordergrund des Jugendstrafrechts steht der Gedanke der Erziehung und Resozialisierung. Langes Wegsperren hingegen führt jedoch nicht dazu, dass die Täter während des Gefängnisaufenthaltes wieder resozialisiert werden. Statistiken zeigen: Je länger jemand im Gefängnis war, desto höher die Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten.

Zudem ist es ein weit verbreiteter Irrtum, anzunehmen, dass Gesetze mit einer höheren Strafandrohung automatisch höhere Strafen zur Folge hätten. Wer das Jugendstrafrecht pauschal verschärfen will, der übersieht, dass nicht der Gesetzgeber die Strafe im konkreten Fall festlegt, sondern die Jugendgerichte in richterlicher Unabhängigkeit. Die Gerichte verhängen aber nur selten die Höchststrafe. Von über 100.000 Angeklagten wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahre 2006 bundesweit nur 91 Angeklagte zur höchsten Strafkategorie von fünf bis zehn Jahren verurteilt. Von den Heranwachsenden verbüßten nur vier Täter die Höchststrafe.

Unabhängig von dieser Sachlage ist natürlich trotzdem Handlungsbedarf gegeben und zwar in folgender Hinsicht:

1. Straftaten müssen schneller aufgeklärt werden: Dafür braucht man aber mehr Polizeibeamte.

2. Straftaten müssen schneller zu einer Sanktion führen: Dafür braucht man aber mehr Richter und Staatsanwälte.

3. Gefährdete Jugendliche müssen vor allem intensiv von den Jugendämtern betreut werden: Dafür braucht man aber mehr Sozialarbeiter.

Leider überbieten sich jedoch die Finanzminister der Länder in einem Wettstreit des Personalabbaus. Bedenken der Justiz- und Innenminister werden nicht berücksichtigt. Das hat zur Folge, dass die Gerichte zunehmend nicht mehr in der Lage sind, die Verfahren in einem angemessen Zeitrahmen zu bearbeiten und zum Abschluss zu bringen. Insofern ist Ihr Vorwurf an die scheinbar langsame Justiz berechtigt. Die Kritik sollte allerdings nicht den Richterinnen und Richtern gelten, sondern der herrschenden Politik, die jedes Jahr erneut Stellenstreichungen vornimmt.

Zudem müssen die Ursachen von Gewalt und Aggression bekämpft werden, schwerste Fehlentwicklungen, die ihren Ursprung in der frühesten Kindheit haben, können auch durch noch so scharfe und zügig vollstreckte jugendstrafrechtliche Sanktionen nicht korrigiert werden, deswegen überwiegt der Anteil der erwachsenen Insassen der Justizvollzugsanstalten, die bereits als Kinder vernachlässigt oder gar misshandelt worden sind, signifikant. Was Jugendliche dringend brauchen, sind Bildungschancen, Kulturangebote, Ausbildungsplätze und Zuwendung. Auch die Frage der Integration muss stärker als bisher in Mittelpunkt der Diskussion. Denn: Die beste Kriminalpolitik war schon immer eine gute Bildungs- und Sozialpolitik.

Aufgabe von Gesellschaft und Politik muss es deswegen sein, durch eine umsichtige Bildungs- und Sozialpolitik junge Menschen nicht erst zu Straftätern werden zu lassen. Wenn jedes Jahr ca. 10% der Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen, dann liegen hier die Ursachen für künftige Perspektiv- und Arbeitslosigkeit. Sie bilden so den Nährboden für mögliche Straftaten. Hier fehlen die notwendigen Politikangebote von SPD und CDU, die Linksfraktion hat hierfür entsprechende Vorschläge erarbeitet.

Freundliche Grüße

Wolfgang Neskovic