Frage an Wolfgang Neškovic von Heinz R. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Neskovic,
nachdem ich viel von Ihnen und über Sie gelesen habe, bitte ich Sie um Ihre geschätzte Ansicht zu einigen Fragen, die in meinem Bekanntenkreis heftig diskutiert werden:
1. Richter sprechen häufig und gerne von Ihrem "Stand" - gibt es in der Richterschaft eine Meinung, dass Sie einem "Stand" angehören ("Standestracht") und damit eine eigene, besondere "Rangstellung" in der Gesellschaft haben? Sind die "Stände" nicht lange abgeschafft?
2. Warum "stört" es eine Verhandlung, wenn der Zeuge eine Hand in der Hosentasche hat? Warum ist das "unbotmässig" und eine Missachtung des Gerichts? Darf man ein Gericht "missachten" bei gleichzeitig wahrheitsgemässer Aussage zu einer Frage? Handelt es sich hierbei um eine uns unbekannte Gesetzgebung oder eher mehr um den ganz persönlichen "Geschmack" eines Richters, der eine Unterwerfungsgeste einfordern darf? (Kürzlich war in der Presse über einen "Mützenträger" berichtet worden, der sich weigerte, diese Mütze abzunehmen und dafür bestraft wurde - ein uns völlig unverständlicher Vorgang).
3. Gibt es ein uns unbekanntes "Höflichkeitsgesetz", dessen Nichtbefolgung bestraft wird? D.h. ist "Unhöflichkeit" (natürlich nicht Beleidigung, Herabsetzung o.ä.) strafbar? Falls es ein solches Gesetz gibt, existiert daneben eventuell auch noch ein "Freundlichkeitsgesetz" (für Mimik, Gestik, Tonfall, usw.) oder ist ein solches in Vorbereitung? Ist der Gerichtssaal "exterritorial" (Richter sprechen immer gerne von "Ihrem Gerichtssaal", als ob sie ihn gekauft, gemietet oder geerbt haben für ihre ganz persönlichen Belange)?
Sehr geehrter Herr Neskovic, an Ihrer Antwort zu diesen (wohl nicht sehr brennenden, aber uns doch sehr stark beschäftigenden) Fragen wäre uns sehr gelegen und wir wären Ihnen dankbar für Ihre Auskunft zu diesem Thema.
Mit freundlichen Grüßen
Heinz Radzuweit
Sehr geehrter Herr Radzuweit,
vielen Dank für Ihre Anfrage über abgeordnetenwatch.de. Ihre Einschätzung zum Selbstverständnis der Richterschaft und ihrem „Stand“ ist im Großen und Ganzen richtig. Wir leben in einer offenen Gesellschaft in der ein Standesdenken nichts zu suchen haben sollte. Gerade RichterInnen sollten deswegen Standesdünkel fremd sein.
Diese Auffassung war Anfang der achtziger Jahre auch ein wichtiger Grund, die Neue Richtervereinigung (NRV) zu gründen. Zielstellung der NRV, deren Bundesvorsitzender ich war, bleibt es diese Standesdenken zu überwinden. Die RichterInnen, die Mitglieder der NRV sind, fühlen sich als ArbeitnehmerInnen und haben ein gewerkschaftlich geprägtes Grundverständnis zu ihrem Beruf. Zu diesem richterlichen Grundverständnis gehört es auch, dem Rechtsstaat ebenso wie dem Sozialstaat verpflichtet zu sein. Der Schwächere ist vor der Übermacht des Stärkeren zu schützen.
Die Fragen 2 und 3 möchte ich wegen ihres Zusammenhangs gemeinsam beantworten.
Gesetzliche Grundlage für die von Ihnen geschilderten Fälle, in denen "Unhöflichkeit" vor Gericht geahndet wurden, sind die §§ 176 bis 179 des Gerichtsverfassungsgesetztes (GVG). Nach § 178 GVG kann gegen Prozessparteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder Zuhörer Ordnungsgeld oder sogar Ordnungshaft angeordnet werden. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die jeweilige Person einer "Ungebühr" schuldig macht. Unter dieser etwas altertümlich anmutenden Formulierung versteht die Rechtsprechung ein Verhalten, das einen erheblichen Angriff auf die Ordnung in der Sitzung und deren justizgemäßen Ablauf darstellt. Man kann sicher ausgiebig darüber streiten, ob damit wirklich die von Ihnen geschilderten Beispiele (Hand in der Hosentasche bzw. Mütze auf dem Kopf)gemeint sind. Im Einzelfall entscheidet der Richter vor Ort, ob sich jemand zivilisiert und angemessen für einen Gerichtssaal verhält. Naturgemäß gibt es dabei Entscheidungen die von größerer oder geringerer Toleranz geprägt sind.
Auf den Punkt gebracht wurde die Kritik an solchen Förmlichkeiten durch das Gründungsmitglied der Kommune 1, Fritz Teufel. Als sich dieser vor fast 40 Jahren erst nach mehrfacher Aufforderung des Richters von seinem Angeklagtenschemel erhob mit den Worten: "Wenn´s denn der Wahrheitsfindung dient" und schrieb schließlich Rechtsgeschichte. Während meiner langjährigen Tätigkeit als Richter habe ich stets auf einen angemessenen Rahmen für die Durchführung eines Prozesses geachtet, ohne jedoch die Prozessbeteiligten unangemessen zu gängeln.
Der Gerichtssaal gehört nicht dem Richter, sondern er hat gemäß § 176 GVG das Recht und die Pflicht die sitzungspolizeilichen Befugnisse auszuüben. Für die Ausübung dieser Befugnisse ist der Richter im Rahmen seiner Befugnisse allein verantwortlich und nicht etwa der Justizminister oder der jeweilige Gerichtspräsident. Dabei geht es wieder darum, einen störungsfreien äußeren Sitzungsablauf - letzten Endes im Interesse der Wahrheitsfindung - zu sichern.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Neskovic